8. Februar 2013 Alexis Liosatos

Wir können sie besiegen, wir dürfen nur nicht bequem werden

Antifaschistische Demonstration in Athen, am 19. Januar 2013.

Die Krise in Griechenland hat nicht nur zu einer stärkeren radikalen Linken geführt, sondern auch zu einer erschreckenden Popularität der faschistischen Partei Chrysí Avgí («Goldene Morgenröte»), deren Schlägertrupps regelmässig Migrant_innen attackieren. Der Artikel berichtet über den Aufstieg der Partei und über die ¬Strategien und Praktiken des Widerstandes gegen sie. Bei letzterem gilt der Fokus der Bewegung «Deportiert den Rassismus», die den antirassistischen Kampf konsequent mit Klassenfragen verknüpft.

Die Kapitalist_innen und die neoliberalen Parteien PASOK1 und Nea Dimokratia (ND) versuchen seit Jahrzehnten, eine rassistische und konservative Wende in der griechischen Gesellschaft zu bewirken. Hauptziele waren dabei die Spaltung der Arbeitenden, die Erhöhung der Profite der Industriellen durch Lohnsenkungen (zuerst für Immigrant_innen und später auch für Einheimische) und die Umleitung des Volkszorns über diese Massnahmen in eine rechtsradikale Richtung.

Die Wahlerfolge der semifaschistischen Partei LAOS in den Jahren vor der Krise dienten den Nazis der «Goldenen Morgenröte» als Schutzschirm für ein freieres Spiel. Es entstanden Verflechtungen mit den Interessen der Unternehmen, und die Partei festigte sich durch systematische Arbeit in benachteiligten Quartieren von Athen. Die Medien berichteten über diverse Aktionen der «Nationalist_innen». Bei den ¬Jugendunruhen vom Dezember 2008 konnten sie sich so als die Beschützer des Volkseigentums gegen die «bösen» Randalierer_innen inszenieren. Natürlich setzte sich auch die rassistische Gleichung «Krimineller = Sans-Papier» durch. In dieser Zeit erliessen PASOK und ND mehrere Gesetze gegen die Immigration.

Autoritäre Demokratie – Aufstieg des Faschismus

Nach all den unpopulären Memoranda2  hat das politische System heute jegliche Möglichkeit zum Konsens mit dem Volk verloren. Deshalb entschied sich die herrschende Klasse für Repression: körperliche Gewalt, Verhaftungen, Tränengas, Terror, Gummigeschosse. Gleichzeitig erhöhte sich auch die Popularität des ¬Faschismus und der «Goldenen Morgenröte». Seit den Wahlen im Juni 20123 verbreiten viele bürgerliche Zeitungen die Theorie der zwei extremen Pole Links und Neonazi. Das System versucht somit die Streiks und die Demonstrationen mit faschistischer Gewalt gleichzusetzen, weil sie beide der Demokratie schadeten. 

Vor diesem Hintergrund intensivierte die «Goldene Morgenröte» nach den Wahlen ihre Aktionen. Sie organisierte humanitäre Hilfe «nur für Griechen». Danach ergänzte sie die polizeiliche Repression gegen Sans-Papiers im Rahmen der Operation «Gastfreundlicher Zeus» mit Massenpogromen und mörderischen Aktionen. Schläger_innen verprügelten an Volksfesten in Anwesenheit ihrer Parlamentarier_innen die «fremden illegalen Verkäufer». Gemeinsam mit der Industrie ersetzten sie migrantische Arbeiter_innen durch griechische Schwarzarbeiter_innen, die weniger verdienen und sich nicht gewerkschaftlich organisieren werden. Schliesslich starteten sie eine Blutspendekampagne «Nur für Griechen».

Für all diese Aktionen wurde die «Goldene Morgenröte» belohnt: Sie eröffnete Büros an vielen Orten, ihre Umfragewerte stiegen auf spektakuläre 14 Prozent und etablierte sich als nützliche Kraft für die Arbeitgeber_innen und die Regierung. Die Medien berichteten über alle ihre Aktionen und die Nazis konnten auf allen Sendern problemlos «ihre Meinung sagen».

Widerstand regt sich

Anfangs antworteten die Demokrat_innen und die Linke nur zögerlich auf die Ausbreitung des Faschismus. Es war aber nur ein erster Schock. Langsam fingen die Leute an, auf die faschistischen Provokationen zu reagieren. Sie realisierten, dass man, um die Memoranda und die Regierung umzustürzen, gleichzeitig die Faschist_innen stoppen muss.

Im September stoppten Ärzteverbände die rassistische Blutspendepropaganda der Faschist_innen.  Arbeiter_innengruppierungen wehrten sich gegen die faschistischen Helfer_innen der Arbeitgeber_innen. Bei einem Fest in der Kleinstadt Kyparisisia wurden die Nazis blockiert und von migrantischen Kleinhändler_innen verjagt, worauf sie mit Hilfe der Polizei flohen. Es folgte in Athen der Zusammenstoss einer antifaschistischen Bikerdemo mit Faschist_innen, die aufmarschiert waren, um  Geschäfte von Migrant_innen zu zerstören. Die Polizei schützte dabei die Faschist_innen und verhaftete nur die Antifaschist_innen. Fünfzehn von ihnen wurden danach gefoltert. Trotz Berichten im ¬«Guardian» darüber deckte Justizminister Dendias die Polizeigewalt. So wurde die enge Beziehung der autoritären Demokratie von Premierminister Samaras zu den Nazis deutlich sichtbar. Zum Solidaritätskonzert mit den Festgenommenen versammelten sich Tausende.

Die Anhänger der «Goldenen Morgenröte» hatten im Oktober gedroht: «Es wird Prügel geben im Parlament, wenn über die Memoranda abgestimmt wird». Aber schliesslich war es der Monat, in dem sich die Arbeiter_innenbewegung zu organisieren begann. Besetzungen und Streiks – darunter drei Generalstreiks mit riesigen Demonstrationszügen – fanden im ganzen Land statt. Die Faschist_innen waren unauffindbar und verrieten ihre wahre Funktion im System. Zur gleichen Zeit, da die Linke die Hauptrolle in den Demonstrationen und den Kämpfen gegen der Polizei übernahm, sprachen sich die Nazis im Parlament für Steuererleichterungen zuhanden der Reeder aus. Früher hatten sie schon andere Massnahmen zugunsten der Kapitalist_innen befürwortet. 

Ein einschneidendes Ereignis in der antifaschistischen Bewegung waren die Schüler_innenparaden am 28. Oktober, dem Fest zu Ehren des Widerstandes gegen Hitler und Mussolini im Jahr 1940. Die Paraden entwickelten sich zu einer Niederlage für die Neonazis. Bei den Mobilisierungen dominierte die Linke. Zum ersten Mal gesellte sich zum antifaschistischen Kampf die Kommunistische Partei (KKE), die mitgliederstärkste linke Partei. Das Volk beschimpfte die Anhänger_innen der «Goldenen Morgenröte» und warf sie bei ihren zwei einzigen Versuchen, den Jahrestag zu «ehren», mitsamt ihren Kränzen aus den Veranstaltungen.

Klimawende

Dank der Ausbreitung der antifaschistischen Bewegung haben verschiedene Gemeinden, Priester, Reporter_innen und Künstler_innen offiziell Stellung gegen die «Goldene Morgenröte» bezogen.  Laut einer Umfrage im November ist die Popularität der «Goldenen Morgenröte» um 6% zurückgegangen und 67% sprachen sich für ein Verbot der Partei aus. Armut und Arbeitslosigkeit und nicht Kriminalität und Migration werden als die wichtigsten Probleme des Landes angegeben. Zudem sind 63 Prozent der Meinung, dass Griech_innen alle Personen sind, die eine griechische Ausbildung abgeschlossen haben. Die Neonazis konzentrieren sich nun wieder auf ihre üblichen nächtlichen Attacken auf Migrant_innen.

Diese Wende des Klimas und der Rückzug der Nazis sind das Resultat neuer antifaschistischer Initiativen, Demonstrationen und Bewegungen seit Anfang September im ganzen Land. Eine weitere Umfrage bestätigt, dass die grössten Probleme der Gesellschaft die Armut und die Arbeitslosigkeit sind. Wo immer sich eine antifaschistische Initiative gründet, erfährt sie schnell grossen Zulauf. Und zu deren Veranstaltungen und Konzerten versammeln sich Tausende von Menschen. Immer mehr Gewerkschaften beziehen offiziell Stellung gegen den Terror der Nazis.

«Nieder mit dem Memorandum – raus mit den Nazis»

Das allgemeine Bild eines antifaschistischen Aufstandes beflügelt antirassistische Kräfte wie die Bewegung «Deportiert den Rassismus». Sie gewinnt neue Mitglieder und breitet sich in ganz Griechenland aus, mit dem zentralen Slogan «Nieder mit dem Memorandum – raus mit den Nazis». Mit systematischer antifaschistischer Arbeit in den vergangenen Jahren, aber auch mit Initiativen direkten Widerstands gegen die faschistischen Provokationen seit diesem Sommer hat sie eine Rolle dabei gespielt, dass die Menschen ihre antifaschistische Wut ausdrücken konnten. Sehr viele Versammlungen, Abstimmungen, Demonstrationen, Konzerte und weitere Aktivitäten wurden auf Initiative der Bewegung «Deportiert den Rassismus» organisiert. Auch im Internet sind wir stark präsent.

Die Bewegung «Deportiert den ¬Rassismus» hat folgende Grundsätze:

  1. Der Kampf gegen den Faschismus geht Hand in Hand mit der Bewegung gegen das Memorandum und gegen die Regierung der Banker_innen. Das stellt das Spektrum unserer Zusammenarbeit klar: Wir brauchen die breitestmögliche antifaschistische Front, deren Rückgrat zweifellos die linken Parteien und die Gewerkschaften bilden müssen.
  2. Wir fordern gleiche Rechte für griechische und migrantische Arbeiter_innen. Ein Teil der Linken denkt, dass die Immigrant_innen den griechischen Arbeiter_innen Probleme verursachen würden. Dieser Ansatz ignoriert, dass von der Spaltung der Arbeiterschaft in Griech_innen und Ausländer_innen (mit letzteren als ersten Opfern) alle Angriffe gegen die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und der ganzen Gesellschaft ausgehen. 
  3. Die Überlebensprobleme des einfachen Volkes haben erste Priorität. In einem grossen Teil der kämpfenden Bevölkerung wird die Parole «Brot–Bildung–Freiheit» des Student_innenaufstands von 1973 gegen die Militärdiktatur immer aktueller. Das ist die Achse eines klassenkämpferischen statt  nationalistischen Widerstands gegen das Memorandum.

Das Ziel ist nun die Erweiterung der Front und die Koordination der antifaschistischen Initiativen in zentralen, grossen Ereignissen, welche der Bewegung neue Impulse geben sollen. Wir können den Faschismus eliminieren, wir dürfen uns nur nicht bequem hinsetzen, weil wir wissen, dass er eine starke Waffe der Memoranda und des Kapitalismus ist. 

1)  PASOK: «Panhellenische Sozialistische Bewegung»

2) «Memoranda» werden die Abmachungen der griechi¬schen Regierung mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds genannt und müssen als Bedingung für deren «Hilfspakete» erfüllt werden, Sie sind eine Mischung aus Sparmassnahmen und allgemeiner neoliberaler Umgestaltung des Landes.

3) Die Wahlen vom 17. Juni gewann zwar die konservative Nea Dimokratia von Antonis Samaras. Die linksradikale Syriza mit 27% und die faschistische Chrysí Avgí mit 7% verzeichneten aber hohe Stimmengewinne. 

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