1. Februar 2011 BTC

Äthiopien – ein halbes Jahrhundert ohne Pressefreiheit

Vor 60 Jahren wurde die allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen unterzeichnet. Dazu gehörte auch das Recht auf freie Meinungsäusserung. In Äthiopien wurde dieses Recht jedoch von den Regimes, unter denen ich gelebt habe, systematisch ignoriert.

Während meiner Kindheit lebte ich unter einer Monarchie. In dieser Zeit gab es drei Tageszeitungen sowie mehrere Radiound Fernsehstationen. Der inhaltliche Fokus der Presse legitimierte immer die Meinung des Kaisers und seiner Interessengruppe. Es wurde weder über die Probleme in den ländlichen Gebieten berichtet, noch über die feudalistischen Strukturen der Produktion. Es fielen keine Worte über die Vertreibung der Pächter von ihren Ländereien und auch keine über die Auflehnung der Gruppen, die gegen das Regime kämpften. Man erfuhr nichts über die Bewegungen innerhalb des Militärs, die eine Änderung der Regierung wollten, und auch nichts über die Studenten an den Universitäten, die einen Prozess der Demokratisierung forderten. Wenn in Äthiopien Berichte von Journalisten auf dem Index der Staatszensur landeten, mussten die Verantwortlichen im Normalfall ihren Posten räumen. Nicht selten kam es zu mysteriösen Unfällen und anderen geheimnisvollen Todesursachen.

Ich war 17 Jahre alt, als dieses Regime besiegt wurde, und ich hoffte, dass es nun besser würde mit der Meinungsfreiheit. Am Anfang der neuen politischen Ordnung herrschte eine regelrechte Goldgräberstimmung hinsichtlich der Verbreitung von verschiedenen Meinungen. In kurzer Zeit entstand eine Vielzahl von Zeitschriften und Magazinen, die andere Inhalte transportierten als die regierungstreuen Medien. Doch dieser Spielraum währte nicht lange. Bald wurden neue Gesetze erlassen, die zur wiederholten Zensur der freien Meinungsäusserung führten. Sendungen und Nachrichtenformate, die das Regime kritisierten, wurden als reaktionär verteufelt und fortan gezwungen, die kommunistische Idee zu verbreiten, egal ob der Grossteil der Bevölkerung an Hunger litt.

Der Zustand der freien Meinungsäusserung unter beiden Regimes lässt sich am besten anhand der grossen Hungersnöte von 1973/4 und 1984/5 zeigen. Beide wurden am Ende von ausländischen Journalisten aufgedeckt und über die ausländische Presse verbreitet. Im ersten Fall befand sich der Kaiser tortenessend in Frankreich, wo er zusammen mit anderen afrikanischen Führern seinen 80. Geburtstag feierte. Während der zweiten Hungersnot feierte die sozialistische Partei ihren 10-jährigen Geburtstag und liess dazu Whiskey im Wert von über einer Million Dollar importieren. In Äthiopien herrschen Zustände wie in Georg Orwell’s «Animal Farm».

Ich war 33 Jahre alt, als die Rebellengruppe TPLF begann, das sozialistische Regime für die folgenden 17 Jahre zu bekämpfen. Sie war in der Bevölkerung sehr beliebt. Es dauerte jedoch nicht sehr lange, bis alle verstanden, «dass der Tiger selten seine Farbe wechselt». Die Gründung und Entwicklung der Volksbefreiungsfront hatte ihre Inspiration im albanischen Sozialismus, doch bei der Machtübernahme wurde sie am Verhandlungstisch im Herzen Londons mit Hilfe der Amerikaner und Briten als liberale Demokraten getauft. Zu Beginn dieser Regierung gab es erneut einen Schub an demokratischer Öffnung und Verbreitung von unterschiedlichen Meinungen. In kurzer Zeit entstanden über 50 Zeitungen und Magazine, die verschiedene Aspekte des sozialen und politischen Lebens verbreiteten. Doch bald kam die nächste Eskalation. Im ganzen Land stiegen die Druckkosten ins unermessliche und der Wahnsinn der Zensur nahm wieder zu. In Äthiopien wie in ganz Afrika scheint es zur Realität zu gehören, dass die Regierungspartei auch die Medien kontrollieren will.

Äthiopien ist ein Land, das alle UNO Konventionen ratifizierte und trotzdem bereit ist, sämtliche regierungskritischen Medien zu verbieten. Äthiopien ist ein Land, das von der Entwicklungshilfe ausländischer NGO’s und von Spenden der internationalen Zivilgesellschaft abhängig ist und gleichzeitig Gesetze erlässt, die es der inländischen Zivilgesellschaft verbietet, an politischen Themen und an demokratischen Prozessen teilzuhaben. Vielen Journalisten, die sich für eine kritische Auseinandersetzung im Land engagierten sahen sich aus Angst vor Belästigungen, Verhaftungen und vor aussergerichtlichen Hinrichtungen gezwungen, das Land zu verlassen. Bis heute flohen mehr als 159 Journalisten aus Äthiopien. Das Grundrecht der freien Meinungsäusserung scheint in vielen Ländern selbstverständlich; doch in Äthiopien wurde es von jeder Regierung ignoriert. Wenn aus dem Ausland Fragen kamen, lautete die Antwort stets: «Bei uns gibt es keine Menschenrechtsverletzungen, keine politischen Gefangenen und keine Journalisten hinter Gittern; es sei denn, sie hätten ein Verbrechen begangen.»

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