1. Mai 2012 Nina Sobhani

Aktionen bewegen

Und wenn es nur die Tatsache ist, dass SP-Präsident Christian Levrat wegen rund 40 Aktivistinnen seine Abstimmung im Parlament verpasste: die Besetzung des SP-Sekretariats durch Bleiberecht Schweiz (BR) am 13. März 2012 zeigt, dass selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Handeln oft besser und schneller ans Ziel führt als blosses Ver-handeln.

Nach dem netten Geplauder beim morgendlichen Kaffee mit Simonetta Sommaruga, wie das Treffen mit der Bundesrätin von Aktivisten der BR-Kollektive geschildert wurde, war klar, dass auf diesem Weg nicht viel zu erreichen war. Die Liste mit den 173 Namen von Sans-Papiers, für welche eine kollektive Regularisierung gefordert wird, wollte Sommaruga nicht prüfen. Sie verwies auf die Härtefallregelung. Da es den Migrantinnen aber gerade nicht um eine weitere Einzelfallbehandlung, sondern eben um die umfassende – kollektive – Annerkennung und Regularisierung von Flüchtlingen ging, und sie sich nicht mit Sommarugas Mitleid begnügen wollten, besetzten sie das Zentralsekretariat der SP in der Berner Altstadt, um Druck auf die Partei und ihre Politiker auszuüben.

Die anwesenden Sekretäre waren äusserst aufgebracht über diese dreiste Störung ihres geregelten Arbeitsablaufs. An der Wand hing stolz ein Plakat aus Zeiten, in denen die SP noch mit gutem Gewissen «sozialistisch» oder mindestens «sozial» genannt werden konnte. Heute hat sie Mühe, sich für so Grundlegendes wie die Erhaltung der menschlichen Würde im Umgang mit von staatlicher Seite unerwünschten Migranten einzusetzen. Dazu bräuchte sie Mehrheiten und die gäbe es zurzeit nicht, liess Levrat im Gespräch am zweiten Tag der Besetzung verlauten. Dass es in der Migrationspolitik nicht um Stimmenfang gehen darf, da sie die Existenz mehrerer hunderttausend Menschen betrifft, hat die Parteileitung offensichtlich verdrängt. Aus den Büros liessen sich die Besetzerinnen aber nicht so schnell verdrängen, zumal man sich den Sekt im Kühlschrank der Cüpli-Sozialisten nicht entgehen lassen wollte. Cédric Wermuth und Carlo Sommaruga (beide Nationalräte) wurden ins Sekretariat abkommandiert, um die Aktivisten mit billigen Versprechen wie einer Einladung an eine Migrationstagung (an welche im Vorfeld notabene sechs weitere Gruppierungen, nicht aber BR eingeladen worden waren) abzuwimmeln. Wermuth, in Anzug und weissem Hemd, schien die Besetzerinnen – wohl unfreiwillig – daran zu erinnern, warum der eigene Kampf nicht mit den Mitteln von Politikern geführt werden soll. Denn: Sie führen direkt in die Heuchelei. Welch ein Spass war es dann auch, mit Balthasar Glättli und Konsorten, die von der Besetzung magisch angezogen sich ebenfalls im SP-Sekretariat einfanden, abends nach getaner Arbeit mit einem Bierchen anzustossen! Auf dem harten Boden schlafen wollte dann natürlich keiner der Konsorten. Schliesslich soll man ja gehen, wenn’s am schönsten ist.

Levrat sprach viel, hörte zu, zeigte Verständnis und Bereitschaft, die Situation der Flüchtlinge in der Schweiz zu verbessern. Dennoch liess einem der Verdacht nicht los, hier wieder einmal nur leere Worthülsen serviert zu kriegen. Doch die Aktivisten beharrten auf einigen Punkten: Levrat wird das Gespräch mit Sommaruga betreffend ihre Migrations- und Asylpolitik im Allgemeinen und die liste für die kollektive Regularisierung im Speziellen suchen; die BR-Kollektive (bzw. Delegationen) sind sonst nur zu parteiintern geführten Diskussionen über ein Papier zur Migrationspolitik zugelassen; die SP übernimmt die Transportkosten für die Aktion und veröffentlichte ein Communiqué, in welchem das schweizerische Ausländerrecht als heuchlerisch bezeichnet wird. Gerade der letzte Punkt ist als Erfolg zu werten. Denn tatsächlich braucht die SP Mehrheiten, um Gesetze zu ändern, nicht aber um ihrer Verpflichtung als sogenannte linke Partei nachzukommen und den Diskurs über Ausländerinnen in eine menschlichere Richtung zu lenken sowie sich gegen die herrschende Angstmacherei der regierenden xenophoben Parteien zu stellen.

Die Besetzung hielt aber nicht nur Levrat von seinen Geschäften ab. Sie liess die Besetzer spüren, dass ihre Kraft aus den Aktionen erwächst, die sich ausserhalb des unterdrückenden Rechtssystems und den dominierenden Diskursen ansiedeln. Und nur mithilfe dieser Aktionen lässt sich der Wirkungsbereich emanzipatorischer Bewegungen erst vergrössern.

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