1. Mai 2012 Kara Ahmad Zuher
«Von allen, die mit Syrien leiden, soll sich niemand über die Situation wundern. Denn in Syrien ist der Patriotismus ein Mittel zur Erpressung und zur Rechtfertigung der Tyrannei geworden, und Demokratie ist nur noch ein Slogan zur Kontrolle.» Burhan Galyun
Mir fehlen die Worte, mit denen ich die Tragödien ausdrücken könnte, die sich in Syrien ereignet haben und die weiter gegen das syrische Volk von der diktatorischen Baath-Regierung ausgeübt werden... Wo diese Regierung doch alles verbrannt hat, die Häuser und ihre Bewohner_innen bombardiert und tausende Männer und Frauen, Alte und Junge zur Flucht gezwungen hat.
Ich könnte keinen Artikel wie diesen schreiben, wenn ich nicht in einem Land leben würde, das sich wie die Schweiz weit weg von dieser Regierung befindet. In Syrien aber ist das Leben von niemandem sicher. Es kann jedem Menschen sehr einfach geschehen, dass sie/er an einen unbekannten Ort gebracht wird, ohne zurückzukommen. Das ist vielen passiert und täglich verschwinden mehr.
Und weil die Gefahr, die von dieser Regierung ausgeht, immer grösser ist, als wir denken, gibt es in letzter Zeit Berichte von Spitzeln und Agenten, die sich unter die Opposition im Ausland mischen und die viele Demonstrationen in europäischen Ländern und in Amerika mitgemacht haben. Diese Spitzel konnten viele Informationen über die Demonstrierenden sammeln und an die syrische Regierung weitergeben. Schon lange führt die Baath-Regierung versteckte Kriege gegen die Opposition im Ausland und verfolgt und unterdrückt jede Opposition in Syrien selber. Aber bis vor einem Jahr haben das nicht alle richtig gewusst.
Beginn der Aufstände
Zuerst ist damals im Süden von Syrien die Wut der Unterdrückten in einen starken Aufstand umgeschlagen. Die Stadt Darha war das Zentrum der ersten Aufstände, und wir müssen immer dankbar sein für jene Student_innen und Schüler_innen, die dort ihre Ideen und ihren Protest frei auf die Strasse getragen und an die Wände geschrieben haben. Die Regierung hat diese Leute, unter denen auch Kinder zwischen 12 bis 15 Jahren waren, sofort in Gefängnisse gebracht und gefoltert. Unbedingt müssen wir uns auch an die Taten jener Männer und Frauen erinnern, die als erste Demonstrierende vor den offenen Augen der Regierung aufgetreten sind. In diesem Moment hat jede_r von uns sich gefragt: Finden diese Demonstrationen wirklich in Syrien statt?
Diese Frage ist dort nicht wichtig, wo wir demokratische Verhältnisse haben. Aber das syrische Volk lebte seit mehr als 40 Jahren unter der Tyrannei der Baath-Regierung. Deshalb war die Brutalität, mit der die Regierung gegen die Aufständischen vorgehen würde, von Anfang an allen klar. Die Regierung hat sofort Waffen eingesetzt und begonnen zu morden, mit dem Gedanken, dass sie so die aufflammenden Demonstrationen löschen könnte und dass die Demonstrierenden, die das Blut sehen, sofort aufhören. Aber sie ist auf Widerstand gegen ihre Waffengewalt gestossen. Und dann haben sich die Demonstrationen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt weiter verbreitet, bis hoch in den Norden von Syrien. Die Baath-Regierung hat damals behauptet, dass der Aufstand bewaffnet sei. Aber alle, die die Baath-Regierung kennen, sind völlig überzeugt, dass der Aufstand am Anfang und über eine längere Zeit ein unbewaffneter Aufstand gewesen ist.
Ein früher Protest von Kurd_innen
Aber ich will hier etwas erzählen, das länger her ist und auch schon unter der Herrschaft Bashar al-Assads stattfand. Im Jahr 2004, genau am 12. März, haben damals in den kurdischen Gebieten in Syrien die Städte Qamishli, Kubane und Efrin gegen die Diskriminierung und Unterdrückung der Regierung protestiert. Damals betrug die Zahl der Ermordeten über 80. Und das war alles vom Militär und von genau derselben Spezialeinheit des Bruders von Bashar al-Assad, Maher al-Assad, begangen worden. Und dies, obwohl die Proteste auch damals unbewaffnet waren. Ich war zu dieser Zeit selber Soldat. Sie haben mir meine Waffe weggenommen, mich von meinem Wachposten entlassen, angeklagt und verhört. In diesem Verhör haben sie mich über alle Kolleg_innen befragt, die ich vom Militär oder zivil hatte. Ich sollte Informationen aus meinem ganzen Leben weitergeben
Die Bewaffnung des Konflikts
Wegen der grossen Zahl der Ermordeten haben sich immer mehr Leute entschieden, deren Verwandte unschuldig gestorben sind, selber zu den Waffen zu greifen. Aber leider hat diese Bewaffnung sich mit der Zeit weiter und weiter verbreitet. Und dann hat sich zwischen die Aufständischen und das Regime eine dritte Konfliktpartei eingemischt. Diese Seite kommt nicht nur aus dem syrischen Volk. Sie ist terroristisch und will für niemanden etwas Gutes. Diese Leute haben die Möglichkeit gefunden, das vergossene Blut auszunutzen und ihre Absichten zu verwirklichen. Wir wünschen, dass diese Terroristen nur gegen Terroristen kämpfen. Aber es ist bekannt, dass die Terroristen nicht zwischen Zivilisten und den Anhängern der Regierung unterscheiden. Und diese dritte Seite und die Baath-Regierung töten nun unschuldige Menschen, damit sie ihre Ziele einfacher erreichen.
Wegen der grossen Zahl von Ermordeten trauern wir und sagen aber, dass die Zahl der Toten sich weiter vergrössern wird. Das Morden wird nicht aufhören, wenn die Welt mit den Verfeindeten nicht eine lösung weit weg von allen Eigeninteressen sucht.
Von allen, die mit Syrien leiden, soll sich niemand über die Situation wundern. Denn in Syrien ist der Patriotismus ein Mittel zur Erpressung und zur Rechtfertigung der Tyrannei geworden, und Demokratie ist nur noch ein Slogan zur Kontrolle.»