1. Mai 2015 Hatim Baloch

Belutschistan – mittendrin und unbekannt

Belutschistan ist ein besetztes und unterdrücktes Land, aufgeteilt auf drei Nationen: Pakistan, Afghanistan und Iran. Seine geographische Lage macht es zu einem zentralen Schauplatz im globalen Ringen um wirtschaftliche und militärische Macht. Die Afghanistanpolitik der verschiedenen Grossmächte erscheint in einem anderen Licht, wenn ihre geostrategischen Interessen in Belutschistan näher betrachtet werden.

Kurze Geschichte Belutschistans

Einst ein fürstlicher Staat, wurde Belutschistan am 13. November 1839 vom britischen Imperium kolonisiert. Wie üblich wandte die Kolonialmacht auch in Belutschistan den Grundsatz des «teile und herrsche» an. 1893 zogen die Briten die «Durand Linie» und schlugen Teile Belutschistans zu Afghanistan, während sie umgekehrt Teile Afghanistans zu Belutschistan schlugen. 1928 zogen sie dann die sogenannte «Goldsmith Linie» und schlugen den zweitgrössten Teil Belutschistans zu Iran. Als die Briten sich 1947 aus Südasien zurückzogen, teilten sie ihre indische Kolonie nicht nur in die Staaten Indien und Pakistan auf. Ebenso erhielt der indische Teil Belutschistans die Unabhängigkeit. Die Belutsch_innen erliessen eine eigene Verfassung und kündigten Wahlen an. Aber nach sieben Monaten besetzten Truppen Pakistans am 27. März 1948 das Land.

Vom ersten Tag an widersetzten sich die Belutsch_innen der militärischen Besetzung und verlangten die Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit. In vier Militäroperationen versuchten die pakistanischen Militärs seither den Widerstand zu unterdrücken. Die fünfte Operation läuft seit 2002. Als Folge davon wurden bereits mehrere tausend unschuldige Zivilist_innen getötet. Neben der intellektuellen Elite auch viele Frauen und Kinder. Täglich werden wir in ganz Belutschistan gedemütigt und erniedrigt. Mehr als 20‘000 Personen werden ohne Rechtsprechung an unbekannten Orten festgehalten. Offiziell gelten sie als vermisst. Zahlreiche Familien haben ihre Heimat verlassen und leben heute in Afghanistan, in den Emiraten am Golf oder in Europa. Im besetzten Belutschistan leben auf einer Fläche von 347.190 km² ca. 8 Millionen Personen.

Arm trotz Bodenschätzen

Pakistan exportiert 50 Arten von mineralischen Rohstoffen, davon stammen 40 aus Belutschistan: Dazu gehören wichtige Energieträger wie Uran und Erdgas. Die Gold- und Kupferreserven gehören zu den grössten weltweit. Trotz des grossen Reichtums an Bodenschätzen ist die Bevölkerung Belutschistans arm. Nur ein Viertel ist alphabetisiert (in ganz Pakistan sind es durchschnittlich 47 Prozent), um die 30 Prozent sind arbeitslos und nur sieben Prozent haben Zugang zu Leitungswasser. Ein Drittel des in Pakistan verbrauchten Erdgases stammt aus Belutschistan, aber nur ein paar Städte sind an die Versorgung angeschlossen. 72 von 1000 Kindern sterben in den ersten 28 Tagen nach der Geburt. Kinder im Südsudan und Äthiopien haben bessere Überlebenschancen. Nur 40 Prozent haben Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Nur 44 Prozent der Eltern können ihre Kinder überhaupt an einer Schule einschreiben. Theoretisch gibt es gegen 10’000 Primarschulen, aber oft fehlen die Lehrkräfte oder die Schulen existieren gar nicht – sogenannte Geisterschulen. 70 Prozent finden wohl eine Arbeit, aber die meisten verdienen weniger als zwei Dollar am Tag. Das heisst, sie können ihre Familie nur ungenügend ernähren.

Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren Pakistan

Human Rights Watch, Amnesty International, die Asiatische Menschenrechtskommission und die Menschenrechtskommission von Pakistan schildern in ihren Berichten die zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte:

Am 25. Januar 2014 wurden in drei Massengräbern in Tootak Khuzdar 169 Leichen entdeckt. Die pakistanischen Militärs stoppten die Ausgrabungen der lokalen Bevölkerung und übernahmen die Kontrolle über das Areal. Wegen der fortgeschrittenen Verwesung war es der Bevölkerung bis zu diesem Zeitpunkt erst gelungen, drei Leichen zu identifizieren. Zwei waren Brüder, bekannt als politische Aktivisten, die in Awaran festgenommen worden waren.

Die politischen Parteien Belutschistans haben die Vereinten Nationen aufgefordert, eine Untersuchungskommission zu entsenden und vor allem die Massengräber in Khuzdar zu untersuchen. Aber bis jetzt stiess dieser Aufruf bei der UNO auf taube Ohren und blieb unbeantwortet. Die Verbrechen der Sicherheitsorgane, die zunehmende Zahl der verschwundenen Personen und extralegalen Tötungen haben nach der Entdeckung der Massengräber nicht abgenommen.

Am 26. Januar 2014 setzte die pakistanische Armee Giftgas gegen die Bevölkerung von Panjgur ein. Zahlreiche Tote waren die Folge. Sie wurden verstreut vor ihren Häusern gefunden. Medizinischem Personal und der Presse wurde der Zugang verwehrt, Wasserleitungen wurden gekappt und Telefonleitungen stillgelegt. Im restlichen Belutschistan wurden die Mädchenschulen durch das Militär geschlossen, Studentenwohnheime überfallen und Bücher beschlagnahmt, welche missliebige Themen der Geschichte, Wirtschaft und Politik behandelten oder ganz einfach Biographien von Persönlichkeiten wie Nehru, Gandhi oder Mandela.

Die Familien von vermissten Personen haben sich in der Organisation Voice for Baloch Missing Persons zusammengeschlossen. Sie organisierten den grössten und längsten «Langen Marsch» in der Geschichte von Südasien. Sie starteten am 27. Oktober 2013 von Quetta und erreichten nach 26 Tagen den Presseclub in Karachi. Dann zogen sie weiter bis zur Hauptstadt Islamabad. So legten sie in vier Monaten 2‘300 Kilometer zurück.

Islamische Terroristengruppen in Belutschistan

Einige der meistgesuchten Terrorgruppen wie Quetta Shura, Lashkar e Taiba, Lashkar e Jahngyi und seit kurzem auch Ableger des IS können in Belutschistan auf die Unterstützung der pakistanischen Armee und des Geheimdienstes ISI zählen. Die pakistanische Regierung versucht, die islamischen radikalen Kräfte für die Bekämpfung der belutschischen Unabhängigkeitsbewegung zu benutzen. Den Grundstein für diese Terrorgruppen legten in den 80er-Jahren Pakistan mit Hilfe der USA und Saudi-Arabien. Die islamischen Warlords sollten die sowjetischen Truppen bekämpfen, welche Afghanistan 1979 besetzt hatten.

Internationale Route im Drogen-, Menschen- und Waffenhandel

Die Grenzen Belutschistans sind nicht nur von Flüchtlingen, sondern auch für alle möglichen Arten des illegalen Handels häufig genutzte Transitorte. Die pakistanische Armee und die islamistischen Gruppen erzielen damit einen grossen Teil ihres Einkommens.

Gemäss dem UNO-Drogenbericht von 2012 wird gegen ein Drittel des afghanischen Opiums über die Küste Belutschistans in die restliche Welt geschmuggelt. Diese Route ersetzt die traditionellen Balkan-Routen. Nun findet das Heroin seinen südlichen Weg über Iran oder die Küste Belutschistans, weiter durch den Irak in den mittleren Osten.

Diese Routen dienen nicht nur dem Drogen-, sondern auch dem Menschen- und Waffenhandel. Die Reisenden aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Nepal, Tadschikistan und Usbekistan gelangen durch Belutschistan nach Europa oder in die arabischen Staaten. Einige werden zur Prostitution gezwungen, andere füllen die Reihen islamistischer Terrorgruppen.

Erdbeben in Belutschistan

Am 24. September 2013 traf ein Erdbeben mit Magnitude 7.7 die Gegend um Awaran, vier Tage später folgte ein zweites, ähnlich starkes. Dieses Doppelbeben zerstörte gegen 95 Prozent der Gebäude, forderte über 1‘000 Todesopfer und machte 350’000 Personen obdachlos.

Obwohl Tausende von Überlebenden – meist Frauen und Kinder – sofortige medizinische Hilfe forderten, verweigerten die pakistanischen Behörden internationalen Hilfsorganisationen den Zugang. Sogar Mitarbeiter lokaler privater Hilfsorganisationen wurden durch die Armee gestoppt. Einen Tag nach dem zweiten Erdbeben – am 29. September – gelang es einer Gruppe von privaten Ärzten von Quetta, Medizin für die Erdbebenopfer zu sammeln. Auf ihrem Weg ins Katastrophengebiet wurde sie 18 Kilometer vor Awaran von der Armee getoppt, mussten die Medikamente abladen und nach Quetta zurückkehren. Die Medikamente verdarben an der Sonne.

Die Armee nutzte ihre erhöhte Präsenz, um Sympathisant_innen der belutschischen Nationalist_innen einzuschüchtern. Zahlreiche neue Checkpoints entstanden um Awaran und andere betroffene Gebiete. Es gibt seriöse Berichte darüber, dass die Armee beschlagnahmte Hilfsgüter zur Versorgung ihrer Truppen verwendete.

1998: Atomtests in Raskoh Chagai – Belutschistan

Pakistan führte am 28. Mai 1998 fünf Atomtest durch und ist seither der siebte Staat weltweit, der über Atomwaffen verfügt. Die gesamte Region um Chagai wurde zerstört und bereits kurz nach den nuklearen Explosionen nahmen Leukämie, Krebs und verschiedene genitale Schäden in den betroffenen Gebieten zu. Jährlich erinnern die Belutsch_innen mit Protesten an diesen schwarzen Tag. Sie fordern von der internationalen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen, dass die radioaktive Verseuchung endlich wahrgenommen wird. Die Radioaktivität in Chagai ist nach wie vor hoch.

Hatim Baloch ist Mitglied des Baloch National Movement (B.N.M)

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