1. Mai 2015 Sabera Wardak

Dein Diplom ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde

In der Autonomen Schule Zürich begegnen sich täglich verschiedenste Menschen mit unterschiedlichen Biografien. Für einige ist es die erste Schule, die sie besuchen. Andere verfügen lediglich über eine Grundschulbildung und wiederum andere besitzen ein Diplom oder einen Universitätsabschluss. Was diese Menschen miteinander verbindet, ist der Wille zur Bildung und der Wunsch, in der Schweiz eine neue Existenz zu gründen. Damit ein Diplom aber anerkannt wird, müssen unzählige bürokratische Hürden überwunden werden – mit unsicherem Ergebnis. Dies erschwert die berufliche Entfaltung dieser Menschen. Viele bleiben arbeitslos oder sind überqualifiziert als Hilfsarbeiter tätig. Das duale Zulassungssystem der EU/EFTA mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen diskriminiert Flüchtlinge aus nichteuropäischen Staaten.

Nur bei reglementierten Berufen im Gesundheits-, Bildungs-, und juristischen Bereich muss das ausländische Diplom formell anerkannt werden. Der Weg zur formellen Anerkennung ist steinig und variiert je nach Berufsgruppe und Kanton. Ein sehr kompliziertes Verfahren. Am Beispiel der universitären Medizinalberufe erklärt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schon zu Beginn: «Wer ein Diplom der Human-, Zahn-, Veterinärmedizin und Pharmazie ausserhalb der EU oder EFTA erworben hat, kann sein Diplom in der Regel nicht in der Schweiz anerkennen lassen. Der Erwerb des eidgenössischen Diploms ist unabhängig von der Nationalität der gesuchstellenden Person möglich.» In anderen Worten: Eine ausgebildete Ärztin muss nochmals studieren, wenn sie die gleichen Chancen wie ihre Berufskollegen haben möchte. Wenn man jung ist, sich nicht um andere Menschen kümmern muss und die notwendigen finanziellen Mittel dazu hat, ist dieser Weg durchaus tragbar. Aber die Studienplätze für Studierende, die ihr ausländisches Diplom hier nachholen, sind extrem begrenzt. Oftmals können die Universitäten nicht garantieren, ob und wie viel Plätze es geben wird.

Zum Beispiel kann ein 46-jähriger Familienvater mit Kindern nicht so einfach das gesamte Studium nachholen und nebenbei die Familie ernähren und die Kinder grossziehen. Auch seine langjährigen Berufserfahrungen im Heimatland zählen hier nicht. Diese Erfahrung musste Asip* machen, als er auf Grund politischer Tätigkeit mit seiner Familie in die Schweiz floh. Er wundert sich insbesondere darüber, dass hier oft von Ärzte- oder Fachkräftemangel gesprochen wird. Dennoch werden Menschen wie ihm Steine in den Weg gelegt. Seine Recherchen haben ergeben, dass andere Staaten wie zum Beispiel Deutschland oder Grossbritannien viel weniger restriktive Mechanismen haben. Dort wird nicht einfach eine generelle Absage erteilt, sondern es gibt Möglichkeiten, wie Ärzte ihr Wissen und ihre Fähigkeiten beweisen können.

Für viele Berufe in der Schweiz benötigt man keine formelle Anerkennung der ausländischen Diplome. Ein Universitätsdiplom in einem nichtreglementierten Beruf bedeutet aber noch lange nicht, dass man gleichberechtigte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat! So fallen hier die meisten Bewerbungen schon im ersten Schritt durch, weil Diplome und Arbeitserfahrungen in Staaten ausserhalb der westlichen Welt in den Augen vieler Personalverantwortlichen nichts wert sind. Es wird hierbei oft mit den internationalen Qualitätsunterschieden argumentiert. Dies impliziert die Annahme, dass alle Universitäten und die Bildung generell ausserhalb der westlichen Hemisphäre minderwertig sind. Dabei gibt es ja auch im reichen Nord-Westen selber grosse Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Universitäten. Warum sollten also alle in einen Topf geworfen werden?

Um diese Missstände zu beheben, müssen Programme geschaffen werden, die einerseits einen gleichberechtigten Zugang zur höheren Bildung ermöglichen und anderseits die berufliche Integration erleichtern. Das Zulassungsverfahren in reglementierten Berufen könnte zum Beispiel durch theoretische und praktische Eignungstests vereinfacht und verkürzt werden. Trotz einzelner Bestrebungen, die Zulassungspraxis für Drittstaatenangehörige zu erleichtern, darf nicht vergessen werden, dass dies nur für Menschen mit einer Aufenthaltsbewilligung gilt. Illegalisierte Migrant_innen haben keinerlei Chancen, ihre akademische Laufbahn weiter zu führen oder ihre Abschlüsse anerkennen zu lassen. Das ist eine grosse Ungerechtigkeit.

Weiterführende Literatur:
Ganga Jey Aratnam (2012): Hochqualifizierte mit Migrationshintergrund – Studie zu möglichen Diskriminierungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt.

* Name der Redaktion bekannt

Artikel mit ähnlichen Themen:
Loading ...