1. Juni 2025 Kubilay Kaya
Über die Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Sprache. Und wie es den Autor trotzdem nicht davon abbringt, gegen einen Entscheid der Schule seines Sohnes zu rekurrieren.
Ich bin am 5. März 2018 in die Schweiz gekommen. Bis dahin hatte ich mit der deutschen Sprache nichts zu tun. Doch bei meiner Ankunft war mir auf einmal klar, dass ich unbedingt Deutsch lernen möchte. In der Zwischenzeit habe ich vieles gelernt: Deutsch zu sprechen und auf Deutsch zu schreiben. Und ich habe mir währenddessen so meine Gedanken über die deutsche Sprache gemacht. Diese Gedanken machte sich auch der amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Er wollte, wie ich, Deutsch lernen. Schlussendlich gab er dieses Vorhaben auf. Er war nämlich der Ansicht, dass es dem Deutschen an Regeln mangle und dass es deshalb eine äusserst schwer zu erlernende Sprache sei. Diese Aussage überrascht mich nicht. Überrascht hat mich hingegen, dass Schweizer Kinder Hochdeutsch zum ersten Mal in der Primarschule lernen. Ich hatte angenommen, sie sprächen so auch zu Hause.
In der Türkei hatte ich Jura studiert und abgeschlossen. Bevor ich in die Schweiz kam, war ich achtzehn Jahre lang als Anwalt tätig. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist, Deutsch zu lernen. Mit dieser Einschätzung stehe ich nicht alleine da, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen: Die Universität Basel arbeitet derzeit an einer Publikation zur Geschichte der Geologie. Dafür engagierte sie den renommierten türkischen Wissenschaftler Celâl Şengör. Obwohl Şengör die deutsche Sprache beherrscht, entschied er sich dafür, die Publikation auf Englisch zu verfassen. Er sagt, dass es viel schwieriger sei, Übersetzungen aus dem Deutschen in andere Sprachen vorzunehmen als aus dem Englischen.
Gemäss dem türkischen Wissenschaftler İlber Ortaylı wurde ein Grossteil der relevanten Primärliteratur in den Bereichen Jurisprudenz, Geschichte, Ingenieurwissenschaften, Medizin, Philologie und Philosophie in deutscher Sprache verfasst. Ortaylı ist in Österreich geboren und studierte in Wien Slawistik und Orientalistik. Er sagt, wer die Literatur Shakespeares erforschen wolle, sollte Deutsch beherrschen, da die deutschsprachige Forschungsliteratur zu dessen Opus – im Gegensatz zu anderssprachiger – qualitativ besser sei. Auch wer in der Philosophie auf einem universitären Niveau diskutieren möchte, solle nach Möglichkeit Deutsch sprechen. Und um sich die dazu benötigte Sprachfertigkeit anzueignen, bräuchte man mindestens zehn Jahre.
Meine Frau hat mir kürzlich ein Youtube-Short gezeigt. Darin war ein Mann zu sehen, der sagte, dass Deutsch die Sprache der Hölle sei. Und die drei Teufel dieser Hölle hiessen Der, Die und Das. Es sei schon schlimm genug, in die Hölle zu kommen, aber Deutsch zu sprechen, das sei noch schlimmer. Und obwohl ich der deutschen Sprache noch nicht vollends mächtig bin, habe ich in dieser Hölle einen Fall gewonnen. Vor Gericht. Gegen die Verwaltung der Stadt Bülach. Das Verfahren war, natürlich, auf Deutsch. Es wurde schriftlich und mündlich abgehalten. Nach Abschluss des Verfahrens schaffte es mein Fall sogar in den «Tages-Anzeiger».
Es ging darum, dass mein Sohn beim Übertritt in die Oberstufe zu Unrecht in die Sek C eingestuft wurde. Dies, obwohl er Bestnoten in der Integrationsschule aufwies. Deshalb konnte ich die Übertrittseinstufung nicht akzeptieren und habe dagegen Rekurs eingelegt. Ich überlegte mir meine Argumente zunächst gut und machte mir viele Notizen, bevor ich die jeweiligen Schreiben einreichte. Meine Worte wählte ich klug und sehr bedacht. Mit Erfolg. Mein Sohn besucht jetzt die Sekundarstufe B.
Deutsch ist für mich wie das Universum: Es ist unendlich. Ich lerne jeden Tag etwas Neues dazu. Und ich liebe die Überraschungen, die diese Unendlichkeit jeden Tag mit sich bringt.