1. Februar 2011 Michael Schmitz

Die antirassistische Sonntagsschule

In der Nähe der Ruinen der Akademie Platons in Athen befindet sich die «Sonntagsschule für MigrantInnen». Doch hier wird weder christliche Moral, noch klassische Philologie vermittelt, sondern in einem antirassistischen Kontext Griechisch gelernt.

Das Hauptgebäude der Sonntagsschule ist ein unauffälliges Wohnhaus etwas ausserhalb des Zentrums Athens. Doch kaum betritt die Besucherin das Treppenhaus, empfangen sie liebevoll gemalte Willkommensplakate. Auch das gemütliche Foyer zieren Plakate: «Gleiche Rechte für Alle», «Sprache vereint», «MigrantInnen sind die Verdammten der Erde – griechische und ausländische Arbeiter vereint» ist auf ihnen zu lesen.

Die Slogans verraten die politische Positionierung des Projekts: Gegründet wurde es vor sechs Jahren durch die trotzkistische Organisation «Internationalistische Arbeiterlinke». Die Gruppierung ist Teil des Parteienbündnisses SYRIZA. Die Mitgliedschaft in der Partei ist jedoch keine Bedingung für ein Engagement in der Schule. Wie in der Autonomen Schule Zürich (ASZ) engagieren sich alle unentgeltlich im Projekt, und die Kurse sind gratis. Die MigrantInnen sind auch in der Organisation der Schule aktiv, etwa in der Administration, bei der Betreuung der Computer oder bei den Veranstaltungen der Schule. Einmal im Monat findet die Generalversammlung aller Beteiligten statt, und dort werden alle Themen der Schule besprochen und die Entscheidungen getroffen. Die Schülerinnen und Schüler der Sonntagsschule sind anders als in der ASZ oft werktätig, viele von ihnen sind ohne Bewilligung in Griechenland. Es besuchen aber auch Asylsuchende die Kurse.

«Sprache ist eine Waffe»

Die Anbindung in einen grösseren politischen Kontext hilft der Schule bei der Rekrutierung neuer Freiwilliger und für den Absatz der Merchandising-Produkte: T-Shirts, Tassen, Taschen oder Hefte werden in der Schule und an politischen Veranstaltungen verkauft. Diese Produkte tragen zur Selbstfinanzierung und Unabhängigkeit des Projekts bei. Auch die Schulfeste dienen diesem Zweck. Miete bezahlen muss die Schule allerdings nicht. Der Besitzer des Hauptgebäudes verzichtet darauf.

Anders als in der ASZ wird in der Schule nur am Sonntag unterrichtet, dafür in mehr Klassen. Insgesamt sind es etwa 25 Kurse. Mehrere hundert Schülerinnen und Schüler besuchen die Kurse. Weil das Hauptgebäude zu klein geworden war, finden viele Kurse mittlerweile in von der Stadt Athen zu Verfügung gestellten Schulräumen statt. Die meisten Kurse vermitteln sprachliche Grundkenntnisse. Es gibt aber auch eine Fortgeschrittenen-Klasse. Daneben bietet die «Sonntagsschule für MigrantInnen» einen Computerkurs an.

«Sprache ist Waffe» und «Sprache vereint»: In diesem Sinn will sich die Sonntagsschule wie die ASZ nicht auf Sprachunterricht beschränken. Die Sprache soll den Alltag erleichtern, das friedliche Zusammenleben aller Kulturen fördern, aber auch den gemeinsamen Kampf für Rechte ermöglichen. Der politische Arm der Sonntagsschule nennt sich «Schafft den Rassismus aus!». Er organisiert und nimmt an Demonstrationen teil, bietet juristische Hilfe für MigrantInnen an und gibt ein mehrsprachiges politisches Magazin heraus.

Keine Rechtstaatlichkeit

Die Situation für illegalisierte MigrantInnen und Asylsuchende in Griechenland ist schlecht. Zwar hat das Land zuletzt 2001 eine kollektive Regularisierung durchgeführt, doch seitdem sind MigrantInnen und Asylsuchende sich selbst überlassen. Rassismus ist in der griechischen Gesellschaft weit verbreitet. In letzter Zeit gab es eine Häufung faschistischer Anschläge. Die ultranationalistische Partei «Laos» («Volk») erzielte bei den Parlamentswahlen 2009 mit mehr als 5 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Das Asylverfahren spottet jeder Rechtsstaatlichkeit. Auch für Asylsuchende im Verfahren gibt es in den allermeisten Fällen keine Unterstützung: weder Unterkunft noch Geld. Die Haftbedingungen für MigrantInnen sind katastrophal. Amnesty International berichtet von willkürlichen Ausweisungen. Zudem ist schon bei einer Freiheitsstrafe von drei Monaten eine «administrative Ausweisung» möglich. Trotz all dieser Missstände schickt die Schweiz immer noch Flüchtlinge nach Griechenland zurück.

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