13. Mai 2023 Claudia Wilopo und Souri Thalong

Die ASZ unterstützt den Kampf gegen Racial Profiling

Warum die Autonome Schule Allianzen schafft und Geld teilt.

Wer bei den Anfänger:innen-Sprachkursen an der Autonomen Schule Zürich (ASZ) reinschaut, stösst derzeit auf brechend volle Kursräume. Deutschlernende folgen dem Unterricht auf behelfsmässig aufgestellten Festbänken, teilweise sogar vom Flur aus. Dieser Tage wird überdeutlich: Die ASZ übernimmt Aufgaben, für die eigentlich der Bund, die Kantone und Gemeinden verantwortlich sind. Die Schule stellt selbstbestimmte Räume, autonome Aktivitäten und kostenfreie Sprachkurse zur Verfügung und springt dort ein, wo die staatlichen Institutionen in ihrer Aufgabe, für Geflüchtete und anderen Personen in prekären Umständen zu sorgen, versagen.

Trotz ihrer radikalen Forderungen, mit Grenzen, Ungleichbehandlung, Rassismus und migrantischer Armut zu brechen, geniesst die ASZ in der Stadt Zürich inzwischen breite Unterstützung. Das wurde deutlich, als ihr letztes Jahr von der Stadt die Auszeichnung für besondere kulturelle Verdienste überreicht wurde – ein mit 20'000 Franken dotierter Preis. Lesen Sie hier die Laudatio von Karim Khider anlässlich der Preisvergabe: «Jede dieser Ausschaffungen schadet der ASZ, ihre Seele wird verletzt.»

Bei aller Freude über die Anerkennung der Arbeit, die die ASZ leistet, hat dieser Preis auch eine groteske Note: Ist dies eine Vorentschädigung für den geplanten Rauswurf aus dem Sihlquai 125, wo die ASZ der «Bildungsmeile» weichen soll, die die Stadt im Kreis 5 plant? Soll die ASZ mit dem Preisgeld in den Ausbau der eigenen Angebote investieren und so noch mehr Gratisarbeit leisten, die eigentlich die Öffentlichkeit zu tragen hätte? Ist der Preis gar als Feigenblatt für das Leid zu verstehen, welches die Schweizer Grenz- und Asylpolitik Bewohner:innen Zürichs zufügt?

Die ASZ geniesst ein gewisses Privileg, da ihre Arbeit in der städtischen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Den Kampf für eine andere Migrationspolitik bestreitet sie aber gewiss nicht allein. Längst haben sich zig Organisationen in diesem Themenfeld solidarisch verbündet, um für eine gerechtere Gesellschaft einzustehen. Es geht dabei nicht nur um Migrationspolitik, sondern auch um Kritik am institutionellen Rassismus und beschränkten Zugang von Geflüchteten zu Ressourcen wie Bildung, Mobilität und Recht. Auch Bewegungen wie die «Allianz gegen Racial Profiling» teilen diese Kritik – besonders die an der Gewalt des Polizeiapparates gegenüber Schwarzen Menschen und People of Color, wovon auch Angehörige der ASZ überproportional stark betroffen sind.

Deshalb hat die ASZ an einer Vollversammlung entschieden, den Hauptteil des Preisgeldes der «Allianz gegen Racial Profiling» zu überlassen, die verschiedene langjährige Rechtsverfahren unterstützt, in denen es um Rassismus und Racial Profiling  geht.


Würde eine weisse Person am Zürcher Hauptbahnhof auch als verdächtig wahrgenommen, nur weil sie den Polizist:innen nicht direkt in die Augen schaut?


Der bekannteste Fall in der Deutschschweiz: Mitten im Pendler:innenverkehr wurde Mohamed Wa Baile am 5. Februar 2015 am Hauptbahnhof Zürich von Polizist:innen als Einziger herausgepickt und befragt – zum wiederholten Mal. Da kein Grund für die Polizeikontrolle ersichtlich war, weigerte er sich, sich auszuweisen oder seinen Namen zu nennen – woraufhin er wegen «Nichtbefolgens polizeilicher Anordnung» mit einem Strafbefehl von über 100 Franken gebüsst wurde.

Die inzwischen verzehnfachte Busse blieb aus Protest bis heute unbezahlt. Mohamed entschied sich, die Strafe mit Unterstützung der «Allianz gegen Racial Profiling» anzufechten. Sein Verfahren ging durch alle gerichtlichen Instanzen. Der Fall wurde schliesslich bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen.

Vor dem Bezirksgericht argumentierte die Polizei, dass Mohamed «verdächtig» erschien, da er den Augenkontakt mit der Polizei vermied. Es stellt sich die Frage: Würde eine weisse Person am stark frequentierten Zürcher Hauptbahnhof auch als verdächtig wahrgenommen werden, nur weil sie Polizist:innen nicht direkt in die Augen schaut?

Unter Racial Profiling verstehen wir verdachtsunabhängige Praktiken der Polizei, Grenzwachen oder privater Sicherheitsleute, die einzig aufgrund des äusserlichen Erscheinungsbildes wie der Hautfarbe, Haarfarbe, Kleidung, religiöser Symbole oder Sprache einer Person veranlasst werden. So werden Betroffene, die wiederholt von der Polizei kontrolliert werden, als verdächtig, gefährlich, kriminell und nicht zur Schweiz zugehörig behandelt. Diese Aussonderung ist für sie verletzend und herabwürdigend.


Obwohl Wilson A. erklärte, dass er einen Herzschrittmacher trage, wurde er von den Polizist:innen mit Stockschlägen und Kniestössen auf den Boden gedrückt.


Im Zentrum des zweiten Falls der «Allianz gegen Racial Profiling» steht ein Mann, der von Mohamed Wa Baile als «Schweizer George Floyd, der überlebte» beschrieben wird: Wilson A. wurde 2009 Opfer von massiver Polizeigewalt am Bahnhof Wiedikon in Zürich. In einem Tram kontrollierte die Polizei ihn und seinen Freund – beides Schwarze Männer – und forderte sie schliesslich auf, auszusteigen. Als die Kontrollierten das Vorgehen hinterfragten, antworteten die Beamt:innen mit Gewalt: Sie sprühten den beiden mit Pfefferspray ins Gesicht und stiessen sie brutal zu Boden. Obwohl Wilson A. erklärte, dass er einen Herzschrittmacher trage, wurde er von den Polizist:innen mit massiver Gewalteinwirkung, Stockschlägen und Kniestössen auf den Boden gedrückt – er bekam fast keine Luft mehr. Mit einem gebrochenen Lendenwirbel, Prellungen im Gesicht und am Hals, einer Zerrung am Oberschenkel und einer Meniskusverletzung wurde er ins Spital eingeliefert. Er entkam dem Tod nur knapp.

Seinem Ziel, Gerechtigkeit vor Gericht zu erlangen, wurden unzählige Steine in den Weg gelegt: Lange fand Wilson keine Rechtsvertretung, die ihm bei einer Anzeige gegen die Polizei unterstützen wollte. Seiner Strafanzeige entgegnete die Polizei mit einer Gegenanzeige aufgrund von «Gewalt und Drohung gegen die Polizei». Zudem musste Wilson das medizinische Gutachten aus eigener Tasche bezahlen. Dies ist bei Anklagen gegen Beamt:innen nicht unüblich und zeigt, wie schwierig es ist, gegen Racial Profiling rechtlich vorzugehen. Denn die Polizei arbeitet in ihrem Alltag oft mit der Staatsanwaltschaft, Richter:innen und Gerichtsmediziner:innen zusammen. Diese Institutionen stehen deswegen in einem besonderen Vertrauensverhältnis zueinander und stützen sich gegenseitig (siehe auch den Artikel «Der Fall Wilson A. – Rassistische Polizeigewalt und institutioneller Rassismus» vom 27. November 2019 in der Online-Ausgabe der Papierlosen Zeitung).

Wilsons Anklage wurde am 18. April 2018 vom Bezirksgericht Zürich abgewiesen, die Polizei freigesprochen. Sein Anwalt, der inzwischen verstorbene Bruno Steiner, hat das Urteil angefochten; der Fall liegt jetzt – nach fast 14 Jahren – beim Obergericht des Kantons Zürich. Ein Teil des Tatbestandes ist mittlerweile verjährt. Die «Allianz gegen Racial Profiling» unterstützt Wilson aber weiterhin, wenn nötig bis vor den Europäischen Gerichtshof, um ein klares Zeichen zu setzen: Rassistische Gewalt kann von der Gesellschaft nicht einfach ignoriert werden.

Gerichtsverfahren kosten nicht nur ein Vermögen – bei Mohamed beliefen sich die Rechtskosten bisher auf über 250'000 Franken –, sie bedeuten auch emotionalen Stress und führen zu hohen psychischen Belastungen. Betroffene müssen ihr Vorgehen nicht nur in der Öffentlichkeit, vor Gericht und gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen, unabhängige Studien und Gutachten organisieren und Geld für den Prozess auftreiben; sie müssen zusätzlich sich selbst entkriminalisieren. Sie müssen beweisen, dass sie keine gewalttätigen und gefährlichen Täter:innen sind, sondern Opfer von Polizeigewalt.

Das Ziel dieser zwei Verfahren ist es nicht in erster Linie, den Rechtsstreit gegen die Polizei zu gewinnen, sondern institutionellen Rassismus und das Thema Racial Profiling an die Öffentlichkeit zu bringen – und das Recht als Mittel zu nutzen, um Rassismus und Gewalt aufzuzeigen. Die «Allianz gegen Racial Profiling» unterstützt diese strategischen Rechtsverfahren mit Medienarbeit, Prozessbeobachtungen, Empowerment-Aktionen, Workshops, aktivistischen Studien, Theater, Demonstrationen, und Austausch mit Partnerorganisationen wie der ASZ.

Eine Polizeikontrolle kann Verschiedenes bedeuten: Ausweiskontrolle, öffentliche Taschenkontrolle oder Leibesvisitation. Eine Kontrolle kann mit einer Inhaftnahme und einer gewaltsamen Ausschaffung enden – oder mit dem Tod, wie im Fall von Hervé Mandundu, Lamine Fatty, Mike Ben Peter und zuletzt Roger Nzoy. Der 37-jährige Schwarze Mann aus Zürich wurde von der Polizei am 30. August 2021 in Morges am Bahnhof erschossen. Anstatt erste Hilfe zu leisten, liessen die Polizist:innen den leblosen Roger Nzoy auf dem Boden liegen.

Tötungen durch die Polizei sind auch in der Schweiz eine traurige Realität. Schuld daran ist der institutionelle Rassismus. Dieser lebt an Gerichten, Schulen, im Gesundheitswesen, Militär und eben auch bei der Polizei. Rassistische und koloniale Bilder werden reproduziert und äusserliche Erscheinungsmerkmale mit «kriminellen», «verdächtigen» und «gefährlichen» Stereotypen assoziiert, die mit den wirklichen Eigenschaften der betroffenen Menschen nichts zu tun haben. Auch der gewaltsame Umgang mit Personen, die als «störend», «unerwünscht» oder «nicht von hier» gesehen werden, wird dadurch legitimiert.


Für wen schafft die Polizei Sicherheit und welche Menschen, Eigentümer und Räume werden durch die Polizei geschützt – oder ignoriert und kriminalisiert?  


Die Polizei wird von vielen Rassismusbetroffenen nicht als Sicherheitsorgan wahrgenommen, sondern als Institution, die Unsicherheit schafft. Die Frage stellt sich also: Für wen schafft die Polizei Sicherheit und welche Menschen, Eigentümer und Räume werden durch die Polizei geschützt – oder ignoriert und kriminalisiert?  

Fälle wie die von Mohamed Wa Baile, Wilson A. und Roger Nzoy haben das Potenzial, gesellschaftliche und institutionelle Veränderungen zu bewirken. Das wiederum kommt anderen Racial-Profiling-Betroffenen zugute, die sich aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen und limitierten Zugangs zum Recht keine solchen Verfahren leisten können. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit der «Allianz gegen Racial Profiling» so bedeutend.

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