2. Juli 2019 Malte Seiwerth

Die Bank der Mapuche – wirtschaftlicher Aufschwung von unten

Das Gebiet der Mapuche in Chile (Karte: NORM)

Die Bank der Mapuche Küme Mogen in Temuco (Chile) zeigt, wie sich ein indigenes Volk, von starker Armut betroffen, wirtschaftlichem Aufschwung und einem neuen gesellschaftlichen Modell annähern kann. Die Organisation steht auch im Austausch mit Aktivisten der ASZ.

In Temuco, Hauptstadt der chilenischen Region Araucania, sitzt Vicente Painel in einem engen Büro mit sich häufenden Akten. Um den kleinen bärtigen Mann mit langen Haaren herum schwirren Menschen mit Rechnungen auf langen zusammengeklebten Papierbögen. Wir sind in der genossenschaftlichen Bank Küme Mogen, was in der Sprache der Mapuche, der indigenen Volksgruppe in diesem Teil Chiles, «gutes Leben» bedeutet. Vicente erklärt: «Wir sind die einzige Bank der Mapuche und wollen mit der Küme Mogen die wirtschaftliche Basis für eine Wohlfahrtsgesellschaft indigener Art stellen.» Doch dazu nachher mehr.

Wir, zwei Aktivisten der Autonomen Schule ASZ, sind hier in Temuco, um einer Gruppe von etwa 20 Mitgliedern der Genossenschaft von der Autonomen Schule zu erzählen. Vicente selber war vor sechs Jahren in der ASZ und erzählt bis heute von den spannenden Erfahrungen im «Turm Babylons». Wir sind uns einig, dass ein solcher gegenseitiger Erfahrungsaustausch ein wichtiger Beitrag zur Förderung selbstorganisierter Projekte (oder einer «Internationale der Selbstorganisation») ist. Dieser Artikel setzt diesen Austausch nun fort.

Schmelztiegel sozialer Probleme Chiles

Temuco befindet sich in der ärmsten Region Chiles (siehe Kasten) und erlebt eine starke Binnenmigration. Besonders betroffen sind die Mapuche. Verarmt nach Jahrzehnten der Diskriminierung und durch Landraub, ziehen viele von ihnen aus dem Umland in die Stadt und versuchen dort irgendwie über die Runden zu kommen. Folglich wächst Temuco ungebremst, und überall sind neue Siedlungen im Entstehen begriffen. Vom Staat fühlen sich die Mapuche alleingelassen: «Der Staat ignoriert uns», so Vicente. «Internationale Vereinbarungen zwingen ihn zwar dazu uns anzuerkennen, in der Praxis hilft er uns aber nicht, aus der Misere herauszukommen. Unsere Bank hat zum Beispiel noch keinen einzigen Peso vom Staat als Unterstützung bekommen.»

Wirtschaftsförderung aus eigener Kraft – Die Küme Mogen

Aufgrund der Vernachlässigung und Unterdrückung durch den Staat ist eine Gruppe von Mapuche zur Überzeugung gelangt, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung nur durch eigene Kraft erzwungen werden kann. So wurde die Küme Mogen gegründet. Alle Mitglieder haben bei ihr ein Sparkonto, auf das sie monatlich Geld einzahlen. Dieses wird dann dafür verwendet, günstige Kredite an andere Mitglieder zu vergeben. So konnten verschiedenen Projekte, wie etwa Ladeneröffnungen, Agrargeräteerwerb und die Gründung von genossenschaftlichen Betrieben finanziert werden. Vicente erzählt: «Mittlerweile sind wir richtig gross geworden. Wir haben über 600 Mitglieder und mehr als 140 Millionen Pesos [etwa 210 000 CHF] an Krediten vergeben.»

Küme Mogen, der Name und das Leitkonzept der Bank, bedeutet so viel wie «gutes Leben» und beruft sich auf die vorkolonialen Gesellschaften im Andenraum. Es beschreibt das Ideal einer echten Wohlfahrtsgesellschaft, die im psychischen, sozialen und ökologischen Gleichgewicht aller seiner Mitglieder steht und auch das Miteinander von Mensch und Natur beinhaltet. Das bedeutet, entgegen kapitalistischer Ausbeutungslogik, mit allen Elementen einen gleichwertigen Austausch einzugehen. «Nun nehmen wir dieses idealisierte Konzept und versuchen, es auf unsere Gesellschaft des 21. Jahrhunderts anzuwenden», meint Vicente. «Unter den Mapuche grassiert die Armut. Das Küme Mogen basiert auf einem gewissen materiellen Wohlstand, der zurzeit nicht existiert. Die Aufgabe unserer Bank besteht darin, einen wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern, in dem Unternehmen im Einklang mit der Umwelt entstehen. Das geht über die Produktion eines finanziellen Mehrwerts hinaus. Wir sind eine ‹ethische Bank› mit dem Zweck, einer Wohlfahrtsgesellschaft indigener Art näher zu kommen.»

Mehr als nur eine Bank

In der Küme Mogen finden täglich Kurse und andere Aktivitäten statt. «Wir fördern unsere Sprache, das Mapuzungun, durch kostenlose Kurse. Hinzu kommen Kurse über Recycling oder andere wichtige Themen. Wir haben ausserdem einen Solidaritätsfonds für Mitglieder in finanziellen Schwierigkeiten. Unser Standort hat sich mittlerweile zu einem wichtigen Treffpunkt entwickelt. Täglich gibt es einen gemeinschaftlichen Mittagstisch, der gut besucht wird. Zudem wurden hier verschiedene kulturelle und politische Initiativen gegründet, wie zum Beispiel der erste Fernsehkanal von Mapuche, der bald via Streaming seinen Betrieb aufnimmt.»


Küme Mogen bedeutet so viel wie «gutes Leben». Es beschreibt das Ideal einer echten Wohlfahrtsgesellschaft, die im psychischen, sozialen und ökologischen Gleichgewicht aller seiner Mitglieder steht und auch das Miteinander von Mensch und Natur beinhaltet.


Als wir später am Abend im Sitzungssaal den Genossenschaftler*innen die ASZ vorstellen, kommen wir auch auf die neuen Probleme in Temuco zu sprechen. Mit den haitianischen Immigrant*innen erlebt diese Stadt derzeit eine neue Art der Migration. Sie sprechen kein Spanisch und werden von allen Seiten diskriminiert,selbst von vielen Mapuche. Ein Aktivist meint: «Wir als Unterdrückte sollten uns mit ihnen solidarisieren und zusammenarbeiten. Vielleicht könnten wir mit selbstorganisierten Spanischkursen anfangen, um sie in unsere Bank Küme Mogen zu integrieren.»


Das Wallmapu – Stammland der Mapuche

Die neunte Region Chiles oder Región de la Araucanía ist der ärmste Landesteil. Ihr kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf beträgt nur $10 760 USDollar, während das nationale bei etwa $24 000 liegt. Damit hat Araucanía ein viel kleineres BIP als etwa Panama ($25 351) oder gar die Schweiz ($61 221). Die Region besteht zum grossen Teil aus dem ehemaligem Siedlungsgebiet der indigenen Mapuche, auch Wallmapu genannt. Im Gegensatz zu vielen anderen indigenen Völkern schafften sie es lange Zeit ihre Unabhängigkeit zu bewahren und wurden erst 1881 vom chilenischem Staat erobert. Mit der Besetzung des Wallmapu, wurden die Ländereien der Mapuche europäischen Siedler*innen übergeben, unter ihnen vielen Schweizer*innen. Die Mapuche wurden in sogenannte «Indianerreservate» gesteckt. In den darauffolgenden Jahren raubten die Grossgrundbesitzer*innen weitere Ländereien der Mapuche. Die daraufhin entstandene Armut besteht bis heute. Die Hauptforderung vieler Mapuche ist, dass ihnen mindestens die als Reservate gekennzeichneten Gebiete zurückgegeben werden. Ihr Kampf um Gerechtigkeit wird vom chilenischen Staat und der Presse häufig als Terrorismus bezeichnet. Dies dient als Vorwand, das Wallmapu bis heute militärisch zu besetzen. Dabei kommt es regelmässig zu Menschenrechtsverstössen von Seiten der Polizei und ungeklärten Todesfällen auf Seiten der Mapuche.

Artikel mit ähnlichen Themen:
Loading ...