24. Februar 2014 Deborah Imhof

Ein Stück Freiheit

Die Blume ist ein Zeichen für Freiheit (Foto: Katharina Meier)

Die Aarauer Theatergruppe Szenart erarbeitete in den Jahren 2012 und 2013 zwei Theaterprojekte mit Menschen aus Eritrea. Im zweiten Projekt mit dem Titel «What we can build together» setzten sich fünf eritreische Männer mit dem grossen Wort «Freiheit» auseinander, dies in Form eines Tanztheaters. Die Projektleiter Jonas Egloff und Cornelia Hanselmann begaben sich im Probeprozess auf eine besondere Reise, die auch ihre eigenen Vorstellungen von «Theater», «Tanz» und eben auch «Freiheit» in Frage stellte.

Eine Zusammenarbeit mit Überraschungen

Der Titel «What we can build together» wurde erst eine Woche vor Premiere festgelegt. Das Projekt hatte zuvor einen anderen Titel, der von einigen Spielern als zu politisch wahrgenommen wurde. Die Angst, mit der Politik des Heimatlandes in irgendeiner Form in Verbindung gebracht zu werden, war gross. Ganze dreizehn Spieler zogen sich zwei Wochen vor der Premiere aus dem Projekt zurück. Nicht, weil ihnen die Arbeit am Stück nicht gefallen hätte, sondern aus Respekt davor, sich in der Öffentlichkeit mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Die fünf Spieler, die geblieben sind, vertreten nun nicht nur ihre eigenen Ansichten, sondern widerspiegeln und spielen auf der Bühne auch die Einflüsse der anderen rund dreissig Spieler, die sich in der Probephase am Projekt beteiligt haben.

Die Form des Tanztheaters zu wählen, erwies sich als lohnende Entscheidung. Dies ermöglichte den Spielern, ihre Ansichten in abstrakter Weise auszudrücken. So kann und muss dem Gezeigten Interpretationsspielraum eingeräumt werden. Die Spieler können immer noch sagen, dass sie gewisse Sachen ganz anders gemeint haben. Besonders für das Publikum stellt die abstrakte Kunstsprache eine Herausforderung dar. Vor dem Hintergrund der Fluchtbiographien der Theaterspieler erwarten viele Zuschauer sehr konkrete Auseinandersetzungen und Statements bezüglich der Situation im Heimatland der Spieler, der Flucht oder ihrer Situation in der Schweiz.

Nachgespräche als fester Bestandteil des Abends

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Nachgespräche in dieser Produktion deshalb eine besondere Wichtigkeit einnahmen. Die Zuschauer konnten nachfragen und Hintergründe des Gezeigten und des Produktionsprozesses verstehen. «Oft ergab sich eine weiterführende philosophische Diskussion zwischen Publikum und Spielern», freut sich Regisseur Jonas Egloff. Bereits nach den ersten Aufführungen in Aarau sei beschlossen worden, diese Gespräche von nun an immer durchzuführen und zu einem Teil der Aufführung zu machen. «Die Inszenierung selbst bietet damit einen schönen Ausgangspunkt für eine Begegnung von Leuten, die sonst im Alltag nicht oft miteinander zu tun haben», meint Jonas.

Szenart ist bemüht, dass das Publikum nicht nur aus dem «normalen» Schweizer Theaterpublikum besteht. «Die Aufführungen haben gezeigt, dass das Stück gerade für Menschen aus Eritrea ein besonderes Erlebnis bietet, da sie gewisse Abläufe direkter und mit einer anderen Brille betrachten und damit auf eine ganz andere Weise lesen können,» sagt Jonas. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen im Publikum übten einen besonderen Reiz für die Zuschauer aus. Für Menschen aus Eritrea wurden darum Gratiseintritte angeboten.


Missverständnisse abbauen

Welche Sprache sprecht ihr eigentlich in den Proben?», wurden wir oft gefragt. «Deutsch und Englisch», sagten wir dann. «Und Tigrinya, wenn die Spieler unter sich sprechen. Und Amharisch, wenn sie mit Aron sprechen.» Doch etwas liessen wir dann jeweils aus: Eigentlich war Tanz unsere Hauptsprache.

Die Kommunikation über Bewegungen im Raum etablierte sich sehr früh. Und dann geschah das, was immer geschieht, wenn man dieselbe Sprache spricht – es gab viele Missverständnisse. Wir gebrauchten dieselben Ausdrücke, meinten aber das Gegenteil. Die konkrete, körperliche Auseinandersetzung mit dem übergrossen, abstrakten Thema «Freiheit» rief viele Irritationen und Reibungen hervor, bei uns, den künstlerischen Leitern dieses Projekts, wie auch bei den Spielern untereinander. Ein in unseren Augen eindeutiges, fast schon plakatives Bild für Diktatur und Unterwerfung bedeutete für einige Spieler den Inbegriff von Freiheit und Demokratie. Wir sagten: «Aber in der Szene ist doch alles vorgegeben. Alle müssen das tun, was ihnen ein Anführer vorgibt. Das ist Gleichschaltung, Diktatur, niemals ein Bild für Freiheit!» Die einfache und ebenso einleuchtende Antwort eines Spielers: «Diese Szene ist für uns pure Demokratie. Es gibt klare, nachvollziehbare Regeln, nach denen man sich richten kann. Diktatur hätte nicht diese Ordnung. Diktatur ist puures Chaos und damit gefährlich.» Das persönliche Freiheitssymbol eines einzelnen Spielers empfanden andere Spieler als unverständlich oder sogar als falsch und gefährlich. «Das kannst du nicht ernst meinen!», wurde oft gesagt und noch öfter gedacht.
Den Spielern auf Augenhöhe begegnen, mit ihnen in einen gleichberechtigten Dialog kommen. Das haben wir uns vorgenommen, gleich zu Beginn der Proben. Die Augenhöhe stimmte tatsächlich, aber wir hatten oft verschiedene Blickwinkel. Gerade diese Missverständnisse und gegensätzlichen Ansichten machten die Proben reich, sorgten für magische, unvorhersehbare Momente.

Die Probearbeit war geprägt von Überraschungen. Wir waren überrascht, dass viele Spieler von «Eritrean Comedy» nicht mehr dabei waren. Überrascht, dass so viele neu dazu kamen. Überrascht, dass sie das Konzept derart aufsaugten und zu ihrem eigenen machten. Überrascht, dass eigentlich keine Frauen mitmachen wollten. Überrascht, dass sie es dann trotzdem taten. Und überrascht, was eine Tigrinya-Übersetzung auf einem Flyer für einen immensen Aufruhr bewirken kann. Dabei haben wir über unzählige Konzepte nachgedacht, sie wieder über den Haufen geworfen, alte wieder hervorgekramt und eines schliesslich umgesetzt. Wenn wir uns schon mit «Freiheit» auseinandersetzen wollten, mussten wir im Kopf und in der Planung auch «frei» bleiben, das heisst flexibel. Das Thema wurde damit zum Bestandteil der Arbeit.

Es ist ein Geschenk mit solchen Spielern zu arbeiten. Spieler, die grosse Geschichten erlebt haben. Und wahre Experten der Freiheit sind. Wenn wir Natsnet (=«Freiheit» auf Tigrinya) suchen, dann unbedingt und gerne mit ihnen.

Jonas Egloff, Cornelia Hanselmann

«What we can built together» tritt am 15. März in Aarau anlässlich des Secondo-Theaterfestivals nochmals auf. Ein weiteres Gastspiel ist am 20. Juni in Brugg AG geplant. www.szenart.ch

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