1. Mai 2012 Antikulti Ateliergruppe

Flüchtlinge als Stoff für Kunstprojekte

«Schattenspiel»: Ein Projekt des Antikulti Ateliers

Ein Gespräch der Antikulti Ateliergruppe über Fremd- und Selbstzuschreibungen, über die Frage: Wer erlaubt wem wann zu sprechen?

Seit Februar 2010 entwickelt in Zürich eine Gruppe – zunächst unter dem Titel «Atelier», nun als Antikulti Atelier – gemeinsam gestalterisch-politische Projekte. Bei den wöchentlichen Treffen in institutionellen und autonomen Räumen in Zürich werden neue Ideen diskutiert, Entscheidungen getroffen– und es wird gearbeitet: zum Beispiel an einem Schattenspiel, an alternativen Stadtplänen oder am Bleibeführer. Der Fokus der Projekte liegt auf dem Kampf für die Rechte aller Menschen, die hier sind.

A: Was ist das Thema dieses Gesprächs?

B: Das Thema ist «Flüchtlinge als Stoff für Kunstprojekte».

C: Was genau bedeutet das?

B: Stoff ist das Material, aus dem du etwas machst. Die Frage geht dann in die Richtung, ob wir Flüchtlinge Material sind und ein_e Künstler_ in kommen kann, um aus dem Material Kunst zu machen. Ein Beispiel dafür war eine Anfrage von einem Künstler vor etwa einem Jahr, der ein Flüchtlingscamp in einer Ausstellung in Basel inszenieren wollte.1 Ich kann mir vorstellen, dass da eine Glasscheibe gewesen wäre und dahinter eine Notunterkunft. Es wurde angefragt, ob ein paar Flüchtlinge aus Nordafrika organisiert werden könnten, die in diesem Kunststück einfach die ganze Zeit herumstehen. Die Person sagte, sie mache Kunst, und sie wolle kritisch sein. Dazu stellt sich die Frage: Sind wir Flüchtlinge Ausstellungsobjekte, die alle anschauen kommen können? Oder können wir auch selber entscheiden, mitbestimmen, reden, diskutieren und sagen was wir schlussendlich wollen oder nicht?

C: Niemand ist ein Objekt, weder in der Kunst noch sonst wo. Wir müssen selber erklären, was wir machen. Ich finde manchmal benutzen Künstler_innen Leute. Du hast von dem Camp-Projekt erzählt, und ich glaube die Flüchtlinge hatten keine Stimme, sie sollten nur schlafen oder essen. Ich finde es erst richtig, wenn man die Leute fragt: «Was ist los? Was denkt ihr?» Dialoge und Meinungen – das ist die richtige Kunst. Die trennende Glasscheibe müsste man weglassen und die Flüchtlinge direkt erklären lassen, wie sie mit Schwierigkeiten leben. Es ist eine Frage der Entscheidung für die Kunst.

D: Was wichtig ist, ist eine Perspektive zu haben und diese zu thematisieren: Was ist mein Wunsch? Wofür arbeite ich? Was ist mein Ziel in dieser Situation? So, dass auf diese problematische Situation, die ja vorhanden und real ist, ein anderer Blickwinkel, ein anderer Themenschwerpunkt gelegt werden kann, dass nicht nur immer auf die gleichen Probleme fokussiert wird. Die Leute haben Probleme, aber sie leben auch im Jetzt und Hier und sie haben Ideen und Wünsche. Irgendwie braucht es auch Punkte, wo man verarbeiten kann, was man erlebt hat. Dazu soll die Kunst doch auch dienen.

E: Künstler_innen nehmen Leute und machen ein Projekt und man weiss nicht, was das Ziel von diesen Leuten ist. Ich kann nicht in einem Projekt teilnehmen, wenn ich nicht weiss, welche Rolle ich spiele und was das Ziel von diesem Projekt ist.

B: Also entscheiden und mitbestimmen?

E: Ja!

Eine Stimme geben – wer erlaubt wem wann zu sprechen?

F: Ich frage mich dann immer, was das Besondere an der Kunst ist. So, wie wir es jetzt besprochen haben, ginge es eher in die Richtung, Leuten eine Stimme zu geben und möglichst unverstellt die Realität oder die vorhandenen Probleme aufzuzeigen. Das kann man ja auch politisch machen. Das ist ja nicht per se Kunst. Da frage ich mich dann schon, was die künstler- ische Darstellung beitragen kann. Die müsste ja eigentlich mehr machen, als Personen nur eine Stimme zu geben.

I: Für mich ist die Kunst die Möglichkeit, politisch aktiv zu sein und meine Anliegen und Ansichten vor ein Publikum zu bringen. Mit der Ateliergruppe, mit Kunst und Theater, können wir durch die Aufführungen oder durch andere Veranstaltungen mit dem Publikum direkt spre- chen. Das ist wichtig für mich. Mit der Ateliergruppe waren wir in Luzern und dort konnten wir beobachten, dass sehr viele Leute Interesse haben an unseren Projekten. Ich war so glücklich, weil so viele Leute interessiert waren. Auch fragen mich immer Leute, ob es noch Bleibeführer gibt. Ich glaube die Kunst funktioniert so, dass wir mit einer anderen Sprache mit anderen Menschen sprechen können. Ohne Krieg. Wir können alles sagen, was wir möchten. Politische Kunst ist die beste Kunst für mich.

B: Also das wirft die Frage auf, was wir eigentlich unter Kunst verstehen. Diese Argumentation von «eine Stimme geben» ist oft zu hören bei Menschen, die irgendein Projekt mit Flüchtlingen machen: «Wir wollen diesen Leuten, die keine Stimme in dieser Gesellschaft haben, eine Stimme geben.»

A: Das ist schon hierarchisch: Wenn man eine Stimme gibt, ist man schon da und sagt: «Ah, ich bin so grosszügig und gebe dir eine Stimme.»

B: Genau. Aber da stellt sich zuerst die Frage: Wer gibt die Stimme wem? Wann, wo und wie?

D: Und genau solche Fragen klammern wir aus, denn im Atelier versuchen wir hauptsächlich, uns die Stimme zu nehmen.

B: Vielleicht geht es auch darum, die Stimme auszuüben, weil wir schlussendlich alle eine ei- gene Stimme haben. Das Problem ist aber, dass wir manchmal nicht gehört werden. Beispiels- weise bei einer Demonstration am 1. August, sagte Widmer-Schlumpf zu den Demonstrant_
innen: Ich rede nach der Veranstaltung mit drei Sprecher_innen und gebe euch fünf bis zehn Minuten.» Also, Widmer-Schlumpf sagte aus ihrer Machtposition, wann, wo, wie und wie lange zu reden sei. Wenn wir das einfach annehmen, dann akzeptieren wir das: «Du bist die, die entscheiden kann, und wir sind die, die sich anpassen.» Dabei kann ein Schweigen selbst subversiv sein. Wir müssen nicht wie Zirkuspapageien reden. Sondern wir können reden, wann wir wollen und schweigen, wenn wir nicht reden wollen.

D: Zur Problematik, wer wem und wie lange eine Stimme gibt, kommt mir ein Animationsfilm2 in den Sinn, welchen wir vor einiger Zeit zusammen angeschaut haben. Ein junger Künstler hat sich mit dem Thema Fluchtweg auseinandergesetzt und damit sogar einen Preis gewonnen. Problematisch empfand ich bspw. die zum Lachen provozierende Darstellung der Flüchtlinge. Krieg, ein überfüllter Lastwagen, Grenzübergänge, Meerüberquerung in Nussschalenbooten – und mitten drin die Strichmännchen-Flüchtlinge, die mal erschossen werden, mal theatral vom LKW fallen oder elend ertrinken. Der Künstler produzierte genau diesen in den Medien allgegenwärtigen Proto-Flüchtling, der schlussendlich in der Schweiz strandet.

A: Am Schluss gab es allerdings eine Kehrtwendung. Es ist aber absurd, dass stereotype Geschichten immer wieder gezeigt werden müssen, als ob das die einzige Weise wäre, Kritik zu üben.

Fremd- und Selbstzuschreibung – Flüchtlingsein als einzige «soziale Position»?

A: Es geht in der Ateliergruppe auch darum, sich mit Zuschreibungen und Identitäten wie «Ihr seid alle Flüchtlinge» auseinanderzusetzen. Wir sind Leute mit ganz unterschiedlichen Aufenthaltsrechten und machen zusammen politische Arbeiten oder politische Aktionen. Vielleicht kann diese Zuschreibung darum gar nicht mehr so einfach gemacht werden.

B: Genau, der Punkt ist: Es wird immer betont, wie wichtig es ist, dass Flüchtlinge über Flüchtlinge reden. Antirassistisch ist, was wir sagen, egal ob es ein Flüchtling, eine sogenannte Schweizerin oder ein Deutscher sagt. Was wir hier versuchen, ist eine gemeinsame Stimme zu erarbeiten. Wenn Schweizer_innen z.B. sagen «das müssen die Betroffenen selbst sagen», dann ist es weiterhin so, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, welche die Zuschreibung «ihr Flüchtlinge seid so» und «wir Schweizer_innen sind anders» machen können.

G: Ich finde schon, dass es eine Berechtigung gibt zu sagen: «Ich muss jetzt nichts dazu sagen». Wenn es sich Leute in einer Gesprächssituation einfach machen, Deutsch zu sprechen und sowieso immer die gleichen Leute reden, dann ist es manchmal gut, nichts zu sagen und sich dafür einzusetzen, dass Sprechzeiten und Sprechpositionen gleich verteilt sind.

H: Viele Leute sprechen über uns und unsere Projekte. Wir sind aber nicht nur Flüchtlinge. Ich bin gleichzeitig auch H oder er/sie ist K, nicht nur Flüchtling oder Asylbewerber_in. Aber wir erklären immer nur unsere Probleme. Ich möchte aber nicht mehr über die Probleme sprechen, ich kann auch mit anderem «Material» etwas machen. Das wäre auch möglich, aber wir denken nicht so. «Flüchtling» ist meine soziale Position. Aber ich bin nicht nur diese «soziale Position». Aber das machen wir auch selbst: uns auf diese soziale Position beschränken. Das Schattenspiel gefällt mir jetzt, weil wir etwas anderes machen. Das Thema ist auch anders.

C: Ich glaube auch in der ANTIKULTI-Gruppe machen wir nicht immer nur etwas für Flüchtlinge. Der Bleibeführer ist nicht nur für Flüchtlinge, er ist für alle Bewohner_innen in Zürich. Auch das Schattenspiel ist nicht nur über das Thema Flüchtlinge, sondern zum Thema Freiheit, weil alle Leute Freiheit brauchen. Deshalb finde ich auch, dass die Gruppe ganz offen ist, wir sind nicht immer mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt.

E: Viele Leute haben dieses Gefühl «ich bin Flüchtling» auch selber. Er ist Europäer oder Schweizer, ich bin Flüchtling. Aber bevor ich ein Flüchtling bin, bin ich ein Mensch.

B: Genau diese Schubladisierung wollen wir nicht mehr. Weder wollen wir die guten Armen sein, noch die bösen Drogendealer_innen. Z.B. bei der Integration geht es doch darum: Integration heisst, aus allen gute Flüchtlinge zu machen: Arme Leute, die dankbar und anständig sind, die immer «Guten Morgen!» sagen und keine Probleme machen.

I: Roboter!

1) Flüchtlingslager im Rahmen der CHASOS-Kampagne 2011 (13.–19. Juni 2011, Halle 32, Messegelände Basel) von Andreas Heusser

2) Animationsfilm Bon Voyage (2011) von Fabio Friedli

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