2. Juli 2019 Frauengruppe ASZ

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter

Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das es überall auf der Welt gibt. Migrierte Frauen sind davon oft mehrfach betroffen. Der folgende Text ist aus der Perspektive von Frauen geschrieben, die in die Schweiz migriert sind.

Gewalterfahrung kann ein Grund sein, das Herkunftsland zu verlassen. Gewalt trifft Frauen auf der Flucht, auf dem Weg in die Schweiz. Eine Freundin erzählt: «Auf dem Weg bleibe ich bei einem Mann, sage, dass er mein Mann ist. Er sagt, ich bin seine Frau. Damit ich sicher bin.» Die Gewalt durchleben Frauen auch oft, wenn sie in Befragungen ihre Erlebnisse beschreiben müssen. Freundinnen sagen, dass sich die Befragungen des Migrationsamtes wie ein Verhör der Polizei anfühlen. Sie fühlen sich schuldig, sind nervös und schämen sich, wenn sie fremden Menschen, oft Männern, von ihren Gewalterfahrungen erzählen müssen.

Auch in der Schweiz sind migrierte Frauen nicht vor Gewalt geschützt, sondern erleben Übergriffe in Unterkünften, Gewalt von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern und sexistische sowie rassistische Diskriminierungen. «In meiner Unterkunft ist der Weg zu den Toiletten lang und dunkel, in der Nacht gehe ich dort nicht hin», beschreibt eine Frau. «Wenn ich meinen Mann verlasse, weil er mich schlägt, wie kann ich selbstständig leben? Was sage ich meiner Familie?», fragt eine andere. «In meinem Land hatte ich einen Beruf. Hier in der Schweiz habe ich mich nur noch um die Kinder gekümmert, weil es für meinen Mann einfacher war, eine Arbeit zu finden. Das hat mich gestört», erzählt eine Frau.

Wieder eine andere Frau ärgert sich: «Ich bin eine schwarze Frau. Wenn ich die Lang strasse entlanggehe, bin ich für die Männer automatisch eine Sexarbeiterin.» Eine weitere hat ähnliche Erfahrungen gemacht: «Als Asiatin stosse ich oft auf das Vorurteil, dass asiatische Frauen Sexarbeiterin seien. Was kann ich dazu sagen? Ich bin verletzt vom Musical Miss Saigon. Es tut mir weh, dass Männer Asien als Ort des Sextourismus nutzen. Dann bringen sie ihre Stereotypen mit. Ich bin empört, dass Frauen auf der Fasnacht ein
 
Geisha-Kostüm tragen oder sich als sexy Asiatin verkleiden. Als ob ein bestimmtes Aussehen als sexualisiertes Kostüm dienen könnte. Ich habe Angst um meine Tochter im Teenageralter. Ich fürchte, dass Stereotype in der Gesellschaft sie verletzen können. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht hört, was ich hören musste.»

Strukturelle Gewalt

Strukturen und Angebote, die Frauen vor diesen Erfahrungen schützen oder ihnen helfen, diese Erfahrungen zu bewältigen, gibt es viel zu wenig. Das Aufenthaltsrecht vieler Frauen in der Schweiz ist oft an den Mann gebunden, der zudem noch die Familie ernährt. Wenn Frauen sich gegen Gewalt wehren, dann müssen sie dagegen kämpfen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Oder sie müssen hören, dass die Gewalt, die sie erlebt haben, nicht «schlimm genug» sei. Die strukturelle Bagatellisierung zeigt sich auch in der Sprache der Ämter und Behörden, die eine weitere Form der Gewalt ist, die migrantische Frauen erleben. Hier einige Beispiele:

«Eheliche Gewalt führt nicht automatisch und voraussetzungslos zu einem Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Verbale Konflikte mit gelegentlichem Anschreien sind ebenso wenig ausreichend wie eine einzelne Ohrfeige oder eine einmalige tätliche Auseinandersetzung, in deren Folge der Ausländer in psychischem Ausnahmezustand mit mehreren Kratzspuren im Gesicht einen Arzt aufsuchte.»

«Das Aufsuchen von Institutionen (z.B. Frauenhäusern), deren Aufgabe es u.a. ist, gewaltbetroffene Frauen zu beraten und zu unterstützen sowie die Tatsache, dass diese Institutionen in ihren Berichten und auch die Ärztin in ihrer Bestätigung die Schilderung der betroffenen Person wie-dergeben, stellen für sich alleine noch keinen Beweis für tatsächlich erlittene Gewalt dar.»

«Der Eintritt ins Frauenhaus erfolgte sodann nicht etwa aufgrund unmittelbar zuvor erlebter ehelicher Gewalt, sondern vielmehr, weil [die Frau] von ihrem Ehegatten aus der gemeinsamen Wohnung rausgeworfen wurde und sie daher keine andere Wohnmöglichkeit finden konnte.»
 
«Im Interesse einer wirksamen Begrenzung des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung und der Begrenzung der Arbeitslosigkeit werden im Kanton Zürich Aufenthaltsbewilligungen von getrennt lebenden Ehegatten nicht mehr erneuert, wenn deren Aufenthaltsregelung in der Schweiz aufgrund der Familiennachzugsbestimmungen erfolgt ist, die eheliche Gemeinschaft weniger als drei Jahre gedauert hat und keine besonderen Gründe eine Wegweisung als unangemessen erscheinen lassen.»

Wir fordern, die Gewalt – auch die strukturelle Gewalt – gegen migrierte Frauen zu stoppen.
Wir fordern Infrastrukturen zu schaffen, die auf die Bedürfnisse von gewaltbetroffenen Frauen ausgerichtet sind.
Wir fordern, geschlechterspezifische Fluchtgründe anzuerkennen.
Wir fordern, dass Gewalt gegen Frauen nicht als Problem wegen ausländischen Männern beschrieben wird. Gewalt gegen Frauen gibt es überall. Gewalt gegen Frauen wird auch vom schweizerischen Migrationssystem produziert und reproduziert.
Wir fordern, dass die verschiedenen Ebenen von Gewalt gegen migrierte Frauen sichtbar gemacht und als Problem anerkannt werden. Nur dann können wir erfolgreich gegen diese Gewalt kämpfen.

Dieser Text wurde von der Frauengruppe der Autonomen Schule Zürich am 24. November 2018 an der Demonstration gegen Gewalt gegen Frauen als Rede vorgetragen

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