2. Juli 2019 Martina Läubli

In den Gemeinden herrscht Willkür

Bei der Unterbringung von Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen sind die Unterschiede enorm. Das ist nicht fair.

Die Schweiz ist ein wohlgeordnetes Land. Eigentlich. Doch für viele Asylsuchende oder vorläufig Aufgenommene herrscht hier Willkür. Im Hinblick auf die Unterbringung in den Gemeinden ist es reiner Zufall, ob man es besser trifft oder schlechter oder katastrophal. Im Kanton Zürich werden Asylsuchende etwa sechs Monate nach der Einreise nach einem nicht öffentlich gemachten Schlüssel auf die 168 Gemeinden verteilt. Wie sie dann untergebracht werden – also ganz konkret: wo und wie sie leben –, liegt in den Händen der Gemeinden. Das kann eine Wohnung sein oder ein Zimmer oder eine Massenunterkunft in einer Baracke. 2 bis 10 Personen müssen sich ein Zimmer teilen. Die zur Verfügung gestellten Wohnräume sind oft baufällig. Da gibt es Schimmel an den Wänden, Algen in der Dusche, eine hartnäckige klebrige Fettschicht überall in der Küche, die man mit
 
20 Personen teilen muss. Oder es fehlt an Isolation und Heizung. Und, was besonders schwierig ist: Es fehlt an Privatsphäre. In vielen Unterkünften wird Anwesenheit kontrolliert. Die Betreuer verfügen über einen Schlüssel zu den einzelnen Zimmern, können also jederzeit hineinkommen. In einer Zürcher Gemeinde (Name der Redaktion bekannt) herrscht sogar totale Überwachung, und der Betreuer verbietet den geflüchteten Menschen den Kontakt zu den Dorfbewohner*innen. Dieser Extremfall zeigt: Die jeweiligen Sozialbehörden und Betreuer*innen haben eine grosse Macht. Und es kommt vor, dass diese Macht missbraucht wird und geflüchtete Menschen schikaniert werden. Von Missachtung der Menschenwürde zeugt auch, wenn in einer anderen Gemeinde der Betreuer zu einem Geflüchteten sagt: «Du bist kein Mensch. Du bist bei uns nur eine Nummer.»

Natürlich gilt dies nicht für alle Gemeinden. Es gibt auch Orte, wo sich man sich verantwortungsvoll um Asylsuchende kümmert und wo die Wohnbedingungen tragbar sind. Aber die Intransparenz ist gross und die Unterschiede sind krass. Die Gemeinden sind recht frei, welche Leistungen sie Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen (Status F) gewähren. Mit 300 bis 500 Franken pro Monat müssen die Asylsuchenden auskommen. Zugang zu Deutschkursen? Gibt es an einigen Orten, an anderen nicht. Die Hälfte an ein ZVV-Ticket, damit man Deutschkurse besuchen kann? Gibt es an einigen Orten, an anderen nicht. Ärztliche Behandlung? Gibt es an einigen Orten, an anderen nicht. Über die Gründe dieser krassen Unterschiede lässt sich nur spekulieren: Ist es das Kalkül, auf den Schultern zugewanderter Menschen Kosten zu sparen? Oder Rassismus? Oder Nachlässigkeit? Was auch die Ursachen sein mögen: Das Fehlen von einheitlichen Standards macht das Leben von Asylsuchenden zu einer Lotterie. Das ist unfair und passt nicht zu einem demokratischen Rechtsstaat.

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