26. November 2022 Karim Khider

«Jede dieser Ausschaffungen schadet der ASZ, ihre Seele wird verletzt.» – Eine Laudatio für die ASZ

Am 25. November 2022 fand im Kaufleuten in Zürich die Übergabe der kulturellen Auszeichnungen der Stadt Zürich statt. Der Verein «Bildung für Alle», Trägerverein der Autonomen Schule Zürich (ASZ), erhielt die mit 20'000 Franken dotierte Auszeichnung für besondere kulturelle Verdienste. Über die konkrete Verwendung des Preisgeldes informiert der Verein zu einem späteren Zeitpunkt. Eins vorweg: Die Mittel werden antirassistischen Projekten zugutekommen – gegen Rassismus und gegen das unmenschliche Migrationsregime.

Die Laudatio an der Preisvergabe hielt Karim Khider per Video – ein ASZ-Aktivist, der am 17. Mai 2022 nach 19 Jahren in der Schweiz nach Algerien ausgeschafft wurde. Nachfolgend können Sie die von den Anwesenden mit stehenden Ovationen bedachte Preisrede nachlesen.


«Guten Abend, mein Name ist Karim Khider. Ich kann heute nicht bei Ihnen in Zürich sein … Wieso, dazu komme ich gleich. Zuerst möchte ich Ihnen etwas über die ASZ erzählen.

Vor 14 Jahren besetzten Aktivist:innen – Sans-Papiers und Solidarische als Bleiberecht-Kollektiv – die Predigerkirche in Zürich, ein paar Tage vor Weihnachten. Sie protestierten gegen das neue, strenge Asylgesetz. Drei Wochen dauerte die Besetzung. Sie wurde beendet, als die Behörden den Protestierenden entgegenkamen – die Härtefallkommission wurde wieder eingesetzt.

Aber die Menschen hörten mit dem Widerstand noch lange nicht auf! Sie gründeten die Autonome Schule Zürich – ein Ort, wo Sans-Papiers, Asylsuchende und andere migrantische Personen Deutsch lernen können. Aus Protest, dass sich die Schweiz nicht um diese Menschen kümmert. Als Widerstand gegen ein unmenschliches System.

Ich war von Anfang an dabei: als Aktivist in vielen Arbeitsgruppen, als Deutschlernender; bei der Papierlosen Zeitung, wo ich an einigen Artikeln beteiligt war. Ich habe miterlebt, wie die ASZ zu einem wichtigen Treffpunkt für Migrant:innen wurde. Ein wandernder Treffpunkt, denn die ASZ zog jahrelang von einem Provisorium zum nächsten – Manessestrasse, Kalkbreite, Gessnerallee, Güterbahnhof, Badenerstrasse, Bachmattstrasse – und dann an den Sihlquai beim Limmatplatz. Dort ist sie noch heute. Vertrieben, dann geduldet – nun eine Institution in Zürich.

Die ASZ ist viel mehr als eine Schule. Die Deutschkurse stehen im Zentrum, aber rundherum passiert ganz viel anderes. Sprachkurse, Mathe- und Computerkurse, Yoga oder Kindertreff. Die ASZ ist ein Begegnungsort und steht allen offen. Mit einem Café, wo es regelmässig Essen gibt; mit einem geschützten Frauenraum; mit Veranstaltungen. Sie macht Projekte mit Radiostationen, Theatergruppen und Künstler:innen. Sie gibt die Papierlose Zeitung heraus, die jedes Jahr am 1. Mai verteilt wird. Und zusammen mit anderen Organisationen setzt sich die ASZ gegen Rassismus und für die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen ein.

An der ASZ können wir uns austauschen und unsere Erfahrungen teilen. Wir werden nicht verurteilt. Und hier sind wir nicht einfach nur Asylsuchende, Illegale oder Migrant:innen. Ob Sans-Papiers, Status F, B-Ausweis oder Schweizer Pass – egal! Wir sind einfach Menschen.

Wissen Sie, wie schwierig es ist, für seine Rechte zu kämpfen, wenn man keine Rechte hat? Dank der ASZ konnte ich für mich einstehen, meine Rechte als Mensch einfordern. Ich konnte politisch mitwirken, an Demonstrationen gegen die menschenfeindliche Politik teilnehmen. Jahrelang sagten die Medien und die Politik, wer wir sind. Aber wir sind keine Leinwand mehr, auf die Vorurteile projiziert werden. An der Seite meiner Freund:innen der ASZ konnte ich mitbestimmen, wie die Öffentlichkeit mich sieht; selber bestimmen, wer ich bin.

Mein Name ist Karim und ich lebte fast zwanzig Jahre in der Schweiz als Sans-Papiers. Vor sechs Monaten wurde ich ausgeschafft – nach Algerien, wo ich mein halbes Leben nicht mehr war. Die Schweiz hat entschieden, dass ich nicht dazugehöre, auch nach so langer Zeit. Aber es gibt einen Ort in Zürich, wo ich dazugehören konnte: die ASZ. Es bricht mir das Herz, weil ich den Ort vermisse. Die Schweiz hat mich jahrelang ausgegrenzt und mir am Schluss noch die ASZ weggenommen – meine Freund:innen, mein Zuhause.

Heute kriegt die ASZ einen Preis – das freut mich und macht mich stolz. Eine Würdigung dafür, was sie für die Gesellschaft leistet. Wussten Sie, dass auch Behörden Menschen zur ASZ schicken? Das RAV zum Beispiel? Oder Gemeinden – sie schicken Geflüchtete an die ASZ, momentan viele aus der Ukraine. Es ist komisch: Auf der einen Seite anerkennen die Behörden die ASZ. Sie wissen, dass die Öffentlichkeit von der Schule profitiert. Und auf der anderen Seite nimmt uns die Migrationsbehörde wichtige Leute weg. Ich bin nicht der einzige Aktivist, der ausgeschafft wurde. Das passiert immer wieder, zuletzt vor ein paar Wochen. Die Behörden schaffen Menschen aus, die das Café führen, Kurse moderieren oder den Betrieb aufrechterhalten. Jede dieser Ausschaffungen schadet der ASZ, ihre Seele wird verletzt.

Zum Schluss eine Bitte an Sie alle, die mir zuhören: Wenn Sie Gesetze machen, wenn Sie Entscheidungen fällen, wenn Sie über uns schreiben, uns begegnen an der ASZ oder auf der Strasse … vergessen Sie nicht, dass auch wir Menschen sind – wie Sie. Und dass wir Respekt verdienen – wie Sie. Behandeln Sie uns wie Menschen. Seien Sie solidarisch. Unterstützen Sie den Kampf – gegen die unmenschliche Migrationspolitik, gegen Rassismus.

Auch wenn ich in Algerien bin, macht die ASZ weiter. Die Aktivist:innen kämpfen weiter für bessere Bedingungen und pflegen diesen Ort der Bildung, Begegnung und Offenheit. Der Protest lebt weiter. Jeden Tag, an dem Menschen an die ASZ kommen, um zu lernen, zu kochen, um sich auszutauschen, sich zu unterstützen, zusammen Neues zu erschaffen. Mit Solidarität Widerstand leisten – an der ASZ, wo alle einfach Mensch sein dürfen.»

Artikel mit ähnlichen Themen:
Loading ...