11. November 2016 Catherine Aubert Barry

Juristisch abgewiesen, aber moralisch gestärkt

Mohamed Wa Baile hat auf Grund seiner Erlebnisse das Theaterstück «Mohrenkopf im Weissenhof» geschrieben. Fotos von der Inszenierung des Stücks im TOJO Theater (Bern) anlässlich der Tour de Lorraine 2016.

In Zürich kam erstmals ein Fall von Racial Profiling vor Gericht. Mohamed Wa Baile musste erfahren: Auch wenn die Personenkontrolle nicht gerechtfertigt ist, muss die kontrollierte Person den Anweisungen der Polizei Folge leisten und ihren Ausweis zeigen.

Am 7. November kurz nach 13 Uhr versammelte sich die Unterstützungsgruppe von Mohamed Wa Bailes Kampf gegen Racial Profiling vor dem Bezirksgericht an der Wengistrasse in Zürich: Aktivist*innen der Allianz gegen Racial Profiling und der Autonomen Schule und viele Interessierte.

Weder Opfer noch Held

Mohamed Wa Baile erschien zuerst mit einem weiss geschminkten Gesicht, um seinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, sich wie ein Weisser sich normal im öffentlichen Raum der Schweiz bewegen zu können, ohne eine Personenkontrolle befürchten zu müssen. Er dankte den Anwesenden und betonte, er sei weder Opfer noch Held. Der Jurist Tarek Naguib gab noch Erläuterungen zum bevorstehenden Prozess. Nur 40 Personen wurden eingelassen, obwohl die Verhandlung im grössten Saal des Gebäudes stattfand. Die Anderen mussten in der eisigen Kälte bei warmem Tee und Gebäck ausharren. 

Die Vorgeschichte

Am Freitag, dem 28. Oktober, hatte Wa Baile in der Autonomen Schule die Anwesenden, die selber Opfer von ungerechtfertigten Kontrollen geworden waren, aufgefordert, ihre Erlebnisse zu erzählen. Einzelne Vorfälle wurden szenisch nachgespielt. Mit Bravour traten andere Lernende von der ASZ als Polizisten auf. Die Gefühle der öffentlich Gedemütigten, die in den Augen der Öffentlichkeit ja meist auch als «schuldig» gelten, kamen durch die Szenen und die Aussagen der Opfer klar zum Ausdruck. Auch seine eigene Demütigung bei ungerechtfertigten Kontrollen spielte Wa Baile sehr anschaulich nach. Die Weigerung, den Ausweis zu zeigen, wenn von hundert Personen in einem Zugswagen nur derjenige kontrolliert wird, der eine dunkle Hautfarbe hat, entspricht dem Willen, diese Ungerechtigkeit nicht mehr zu akzeptieren. Wa Baile trug diese Weigerung jedoch eine Busse von Fr. 100 zuzüglich einer Gebühr von Fr. 150 ein. Seine Einsprache dagegen war Gegenstand der Gerichtsverhandlung.

«Wir schätzen es, wenn die Öffentlichkeit sich für unsere Arbeit interessiert!»

Dies sagte der Richter zu Beginn der Verhandlung. Das Gericht musste sich die Frage stellen, ob die polizeiliche Personenkontrolle vom 5. Februar 2015 nicht unter das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot fiel, weil sie ungerechtfertigt und unverhältnismässig war.

Nach der Befragung zu den persönlichen Verhältnissen erläuterte Wa Baile eloquent sein Anliegen. «Wissen Sie, wie es sich anfühlt, mitten im Pendlerstrom im Hauptbahnhof von der Polizei gestoppt und kontrolliert zu werden?»

Es stellte sich auch heraus, dass der Polizeirapport nicht der Wahrheit entsprach. Dort stand, der Angehaltene hätte keine Papiere auf sich getragen. Die Anwältin Magda Zihlmann forderte Freispruch und Übernahme der richterlichen Kosten durch das Gericht. Am Anfang ging sie konkret auf die «Verdachtsmomente» ein, die der Polizist für die Personenkontrolle angab. Differenziert stellte sie dar, dass es nicht darum ginge, einen einzelnen Polizisten, der seine Arbeit tut, anzuprangern. Vielmehr habe die Problematik strukturelle Gründe, die dem einzelnen Beamten wenig Instrumente in die Hand gäben. Sie unterstrich die Wichtigkeit, welche der Kampf gegen Racial Profiling auch für die Polizei hat, um keine Gemeinschaft der Verdächtigungen zu kreieren und das Vertrauen von Minderheiten in die Polizei zu stärken. Es gehe auch darum, der Festigung rassistischer Stereotype, die auf alle wirken, etwas entgegenzusetzen.

Abgewiesene Einsprache –  öffentlicher Goodwill

Nach einer Beratungspause eröffnete der Richter das Urteil und las die Begründung vor. Mit der Aussage, dass sie keine institutionellen Mängel zu beurteilen hätten, sondern nur diesen einen Fall, entzog sich der Richter von Anfang an einem breiteren Diskurs. Er stützte die Polizei, die nicht an einer Amtshandlung gehindert werden dürfe, sprach nach der Begründung jedoch Wa Baile persönlich seinen Respekt aus. Auch er wünsche sich «eine Welt ohne Diskriminierung».

In vielen Ohren klingt dies zynisch, und einen doppelzüngigen Nachgeschmack hinterlässt das schon. Wa Baile ist es aber auf jeden Fall gelungen, den Schaden, der Racial Profiling anrichtet, in seinem Theaterstück in Bern einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln sowie erstmals vor Gericht zur Sprache zu bringen. Gleichzeitig hat das Thema seit seinem Fall medial einen positiven Widerhall gewonnen. Mit der Allianz gegen Rassismus ist eine Bewegung gegen Racial Profiling entstanden. Hier geht's zur Homepage

Persönlich denke ich, dass dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist: hin zur allgemein akzeptierten Tatsache, dass die Schweiz von heute bunt und farbig ist.

Seit Oktober und bis Ende Januar finden im Stadthaus Zürich empfehlenswerte Veranstaltungen gegen Rassismus statt

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