3. Dezember 2018 Ronan Ahmad und Malek Ossi

Kunst ist eine Waffe

Bachtyar Ali ist einer der bekanntesten Schriftsteller des irakischen Kurdistans und lebt in Deutschland. Im Interview spricht der Autor von «Der letzte Granatapfel» und «Die Stadt der weissen Musiker» über das Exil, die Spirale der Gewalt und das mangelnde internationale Bewusstsein für die Unterdrückung der Kurd*innen.

Bachtyar Ali, Sie haben das Exil gewählt. Nehmen Ihre Landsleute Ihnen das übel?
In Kurdistan werden Autor*innen als Besitz betrachtet, als politische Führer oder Prophetinnen. Viele Menschen in Kurdistan wollen, dass ich zurückkehre. Ich will dieses Künstlerbild aber nicht bestätigen. Ich bin ein Autor: Ich kann Gedanken formulieren, Ideen vorschlagen – aber ich kann nicht führen, und ich kann nicht retten.

Was bedeutet das Exil für Ihr Schreiben? Ist die Distanz schmerzlich oder auch fruchtbar?
Ich war immer fremd, nicht nur im Exil. Als Kind in der Schule, in der Familie, in der Gesellschaft und jetzt auch in Deutschland. Ich glaube, ein Autor muss sich nicht vollständig integrieren. Im Gegenteil: Man muss immer einen gewissen Abstand halten.

Wie blicken Sie mit diesem Abstand auf die Situation in Ihrer Heimat, etwa auf das versuchte Unabhängigkeitsreferendum?
Das Referendum hat nichts mit dem historischen Schrei der Kurd*innen nach Gerechtigkeit zu tun. Stattdessen war es eine populistische Aktion von Herrn Barzani, der seine Macht ausweiten wollte. Die Umstände haben gegen das Referendum gesprochen: Die Wirtschaft liegt am Boden, die kurdischen Parteien sind uneinig und die Gesellschaft ist zerrissen. Dem aus der Unabhängigkeit entstehenden Druck könnten die Kurd*innen im Moment nicht standhalten.

Warum schreibt fast niemand über diese Unterdrückung? Warum sind auch vergangenen Genozide gegen Kurd*innen so wenig bekannt? Tragen die Kurd*innen eine Mitverantwortung daran?
Dass die Unterdrückung der Kurd*innen so wenig bekannt ist, ist zu einem grossen Teil unsere eigene Schuld. Wir müssen uns heute aktiv dafür einsetzen, dass wir wahrgenommen werden. Früher war das anders. Der Westen setzte sich von sich aus intensiv mit der restlichen Welt auseinander. Ein grosser Teil unserer Literatur, die mündlich überliefert wurde, wurde von Europäern aufgeschrieben und bewahrt, etwa vom Orientalisten Oskar Mann. In der unübersichtlichen digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts braucht es aber mehr, um die internationale Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Sonst gehen wir zwischen den täglichen Katastrophenmeldungen der Medien unter.

Wie kann das erreicht werden?
Kurd*innen denken, nur konkrete Politik könne etwas bewirken. Seit 30 Jahren gehen wir in Europa auf die Strassen und rufen Parolen auf Kurdisch. Erreicht haben wir damit nichts. Stattdessen sollten wir Kunst einen höheren Stellenwert geben. Kunst zeigt immer einen Ausweg. Und mit einem guten Film oder einem guten Buch können so viel mehr Menschen erreicht werden als mit einer Demonstration – auch Menschen in Machtpositionen. Denn auch in Europa ist es nicht eine einfache Ladenbesitzerin, welche die Entscheidungsgewalt hat, sondern eine Elite mit wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten. Die einzige Möglichkeit, Kontakt zu dieser Elite herzustellen, liegt in der Kunst.

Kunst ist auch ein zentrales Thema Ihres Romans «Die Stadt der weissen Musiker».
Die Frage «Was kann Kunst?» ist für uns eine sehr drängende, relevante Frage. Es ist sehr wichtig, über Kunst in Zeiten der Diktatur zu schreiben. Kunst ist mit Freiheit, Grenzüberschreitung und Tabubruch verbunden. Kunst ist eine Waffe. Die Kunst kann uns Orientierung, neue Gedanken und Ideale geben. Das sind Dinge, die für uns im Orient sehr wichtig sind.

Ein Beispiel dafür ist, dass Sie in Ihrem Roman die klare Trennung zwischen Opfer und Täter verwischen. Stattdessen beschreiben Sie eine Gewaltspirale.
Genau. Wir Kurd*innen waren Opfer. Aber Hass und Faschismus sind bei allen Bevölkerungsgruppen im Orient präsent – nicht nur bei den Arabern oder Türken. Wir müssen das Problem überall bekämpfen und dürfen uns selbst nicht nur als Opfer sehen. Ich kann die Welt nicht messerscharf in Täter und Opfer aufteilen. Deswegen versuche ich, in meinen Texten, die wunderbaren Seiten der Menschen anderer Nationalitäten aufzuzeigen. Wenn ich glauben würde, die Menschen seien von Grund auf gewalttätig, bräuchte ich gar nicht zu schreiben. Aber so denke ich nicht. Stattdessen versuche ich mit meiner Literatur, anderen dabei zu helfen, den Universalismus zu entdecken. Es gibt eine universale Seite in uns allen, und diese Seite müssen wir stärken.


Bachtyar Ali

wurde 1966 in Sulaimaniyya im irakischen Kurdistan geboren. Früh geriet er durch sein Engagement in den Studentenprotesten 1983 mit dem Diktator Saddam Hussein in Konflikt. Kurz nach seiner ersten Publikation, dem Gedichtband «Gunah w Karnaval» (Sünde und Karneval), zog er Mitte der Neunzigerjahre nach Deutschland, wo er bis heute lebt. Mit der Übersetzung seines Romans «Der letzte Granatapfel», die im Unionsverlag erschien, gelang dem Autor im deutschsprachigen Raum 2016 der Durchbruch. Letztes Jahr erschien sein zweiter Roman auf Deutsch: «Die Stadt der weissen Musiker». Bachtyar Ali gilt als einer der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller des irakischen Kurdistans.

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