4. Januar 2017 Younes Tahir

Leben an der Leine

Wir brauchen die Freiheit, um das Leben zu lieben. Eingrenzungen beschneiden diese Freiheit dramatisch.

 Bevor ich über Eingrenzungen spreche, möchte ich sagen, dass jeder Mensch die Freiheit liebt. Diese Liebe nährt sich vom Wunsch eines jeden, sich zu vervollständigen, und von seiner Liebe zum Leben. Nicht nur Menschen kennen dieses Gefühl: Jedes Wesen hasst Käfige, mit Ausnahme vielleicht von solchen, die hinter Gittern geboren sind. Sie kennen den Geschmack der Freiheit nicht.

Diejenigen hingegen, die frei geboren sind und in ein Gefängnis gesteckt werden, haben keinen Anschein mehr von Lebensfreude. Für den Menschen ist es umso schwieriger, weil man bei ihm eine komplexe Mischung aus Leidenschaft und Bewusstsein vorfindet.

Deshalb fordert er seine Freiheit ein – mit Beweisen, Argumenten und logischen Begründungen.


Denn jeder weiss, dass die Einschränkung der persönlichen Freiheit zu den schwersten Strafen überhaupt gehört.


Wenn ich von solchen Einschränkungen spreche, meine ich nicht nur solche, bei denen die Gitter und ein Beamter mit den Schlüsseln in der Hand klar sichtbar sind. Wenn wir damit einverstanden sind, dass die Freiheit ein solches Gefühl ist, wie ich beschrieben habe, dann beschränkt jede Form diese Freiheit, in der ein Mensch in ein klar definiertes Gebiet gebracht wird, das er nicht verlassen darf. Das beste Beispiel dafür ist die „Eingrenzung“.

Geflüchtete, die eine Eingrenzung erhalten haben, sind von der Gesellschaft isoliert. Wenn man den Antrieb, die Träume und den Mut von einem Menschen brechen will, dann muss man ihn isolieren. Genau das ist der Fall bei einer Eingrenzung: Die Betroffenen durchleben dabei einen Albtraum aus Stress, Angst und Einsamkeit.

Ich habe festgestellt, dass nur einige Monate nachdem diese Verfügung angewendet wird und die Betroffenen die Unterkunft nicht mehr verlassen dürfen, sie in einen Sumpf aus Alkohol und Drogen eintauchen, Tag und Nacht streiten und Schlaflosigkeit und psychische Krankheiten entwickeln. Sie haben Angst, in die Stadt zu gehen, sie fühlen sich fremd und können mit ihren Mitmenschen nicht darüber sprechen.

Diese Gefühle können sie nicht zum Ausdruck bringen. Mehr und mehr verlieren sie das Vertrauen in sich selbst und vor allem in die Gesellschaft. Sie spüren keine Liebe mehr, sondern nur Hass, weil sie sich fühlen, als wäre die ganze Welt gegen sie. Sie hassen die ganze Gesellschaft, weil sie sich nicht willkommen, sondern wie weggeworfen fühlen.

Was ihnen fehlt, ist die Liebe von ihren Mitmenschen. Sie sehen niemanden mehr, ausser vielleicht die Polizei, die sie mehrmals pro Woche besucht. Die Polizei weckt sie um sechs Uhr morgens, durchsucht sie, und erinnert sie nochmals daran, bevor sie wieder geht, dass sie die Schweiz verlassen müssten.

Der Kanton Zürich gibt diesen Menschen die Gelegenheit ihr eigenes Grab schon zu Lebzeiten auszuprobieren: Ich spreche von den Bunkern. Wenn sie diese Unterkünfte verlassen, werden sie ins Gefängnis geschickt - und  hier meine ich solche mit Gittern und Mauern. All diesen Druck halten Sans Papiers aus. Wie kann man nach alldem noch etwas Positives von ihnen erwarten?

***

Leute, die hier schon seit Jahren leben, teilen mit dem Rest der Gesellschaft, die Kälte und die Hitze und die Luft zum Atmen. Aber sie leben anders.


Diese Leute essen anders, sie trinken anders, sie schlafen anders, sie können keine Feste feiern. Sie gehen nicht in die Ferien, sondern ins Gefängnis.


Alle Gesetze sind zum Vorteil der Bürger da, nur die Gesetze für Ausländer werden immer schwieriger.
All diese sozialen Unterschiede, und man spricht von Demokratie! Dieses Wort, das ich nicht verstehen kann, trotz all der vielen Definitionen, die es davon gibt. 

Man spricht von Menschenrechten, aber wir haben nichts von ihnen. Also frage ich mich: Gibt es diese Rechte nur auf Papier? Oder müssen wir zuerst beweisen, dass wir Menschen sind um diese Rechte zu erhalten?

***

Aber es gibt Hoffnung. 

Denn es gibt Organisationen, die sich für diesen Teil der Gesellschaft interessieren. Sie lassen die Menschen nicht alleine. Sie schreiben zum Beispiel Beschwerden gegen diese Eingrenzungen. Und vor allem sprechen sie mit den Menschen und hören ihren Problemen zu. Sie geben ihnen Mut und Hoffnung.

So können mehr Leute diese Isolation durchbrechen und herausgehen, um in die Schule zu kommen, um an Aktivitäten teilzunehmen und die Sprache zu lernen. Und das hilft, dass wiederum mehr Leute Vertrauen bekommen, dass sich eines Tages etwas ändern wird.


Eingrenzungen für Sans-Papiers im Kanton Zürich

War früher die «Dynamisierung» – der wöchentliche Wechsel der Notunterkunft – die bevorzugte Strategie, um abgewiesenen Asylsuchenden das Leben schwer zu machen, setzt das Zürcher Migrationsamt nun auf eine neue Methode: Viele Bewohner*innen der Notunterkünfte (NUK) haben  eine Eingrenzung erhalten.  Sie dürfen das Gebiet der Gemeinde bis zu zwei Jahre lang nicht mehr verlassen, ansonsten droht eine Gefängnisstrafe. Das heisst, dass die NUK-Bewohner*innen bis zu zwei Jahre kaum die Möglichkeit haben, soziale Kontakte zu pflegen oder Bildungsmöglichkeiten zu nutzen.

Diese massive Einschränkung der Grundrechte ist eine direkte Folge des anhaltenden Rechtsrutschs in der Schweizer Politik. Unter dem politischen Druck der SVP und anderen Rechtsparteien greifen die Behörden zu immer repressiveren Massnahmen. In diesem Zusammenhang steht auch die kürzlich angekündigte Streichung von Asylsubventionen für Kanton, die dem Bund nicht rasch und konsequent genug ausschaffen. Die Autonome Schule Zürich verurteilt die Eingrenzungen scharf. Sie sind unverhältnismässig und werden zudem dilletantisch und willkürlich verhängt. Die ASZ fordert eine Regularisierung des Aufenthaltsstatus der betroffenen Personen. (Red.)

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