1. Mai 2010 Anonym
Aus dem Ausschaffungsgefängnis am Flughafen Kloten.
Ich klaube diese paar Worte mit einem schwer zu beschreibenden Gefühl zusammen, denn es gibt Dinge, über die ich nie gerne gesprochen habe, und als ich hier reinkam, da habe ich begriffen, dass ich auch über meine Erfahrung im Ausschaffungsknast nur ungern sprechen werde.
Denn ich schäme mich.
Wenn ich nun dennoch das Wort ergriffen habe, so deshalb, um meine Rechte einzufordern. Und nicht nur um meine eigenen Rechte geht es mir, es geht mir um eine Lösung für das humanitäre Desaster, dessen Opfer wir sind, und darum, dass die Menschen hier im Gefängnis verstehen werden, dass sie sich (wie ich) zu unrecht schämen. Denn noch fühlen sich die Menschen hier verlassen und scheinen sich an das Unerträgliche gewöhnt zu haben.
Die Frauen und Männer im Flughafengefängnis sind bloss darum zur Gefangenschaft verurteilt, weil sie keine Papiere haben. Wenn sie verzweifeln, so geschieht dies nicht aus Angst vor dem Gefängnis, sondern weil ihnen hier die Zeit verrinnt, weil sie im Schatten des Lebens warten müssen, während sie sich von ihren Familien, Frauen und Kindern entfremden.
Die Menschen, die mit mir hier hinter Gittern und verschlossenen Türen leben, haben als einzigen Halt eine Entschlossenheit, die ihnen aufgezwungen worden ist. Einige erwarten die Ausschaffung, andere nähren ihre Entschlossenheit im permanenten Widerstand. Und auch ich sehe die einzige Mög¬lichkeit ruhig zu bleiben darin, sich gegen¬seitig zum Widerstand zu ermutigen.
Mir geht es nicht darum, Verbrechen zu legitimieren, sondern darum, die Freiheit und die Gerechtigkeit zu verteidigen. Denn meiner Ansicht nach begeht eine Person, die ihr Heimatland verlässt, um anderswo Schutz zu suchen, kein Verbrechen, sondern einen politischen Akt.
Hier und heute aber herrscht verkehrte Welt. Denn die Psychologen hier sind nicht dazu da, um uns zu heilen, sondern um uns gefügig zu machen. Das Gleiche gilt für die Juristen: Ihr Recht dient nur dazu, Leute zu verurteilen.
Das einzige, was funktioniert, ist der kapitalistisch-politische Apparat. Ich sage das nicht, weil das eine kühne rhetorische Phrase ist, sondern weil ich es gegenwärtig sehr real erlebe.
Ich spüre daher heute, dass jeder von uns sich verantwortlich fühlen muss für das, was um ihn her geschieht. Wir dürfen uns nicht mehr nur über unser eigenes Leben Sorgen machen. Wir müssen den Blick wenden, um zu sehen und zu wissen, dass es um uns Menschen gibt, denen das Leben kein Geschenk ist, und dass die Freiheit und die Möglichkeiten, die ihr habt und geniesst, diesen Menschen nicht offen stehen.
Ich wundere mich über das Schweigen der Gesellschaft. Eigentlich sind es diese Ignoranten, die Hilfe nötig hätten, nicht jene, die sie verurteilen. Denn die Verurteilten könnten sich selber helfen, wenn man sie nur liesse.
Ich beende meine Botschaft, indem ich die Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Zürich dazu aufrufe, in grosser Zahl zu uns vor das Flughafengefängnis zu kommen, um gegen dieses Regime zu protestieren.
Danke.
Sich zu bedanken freut den andern, man macht sich selber dadurch aber auch eine Freude.