1. Mai 2015 Mirjam Brunner

Stoppt den Krieg gegen Migrant_innen!

Mit einer Demonstration gegen das europäische Grenzregime begann im Februar 2015 ein dreitägiges Treffen der Internationalen Koalition der Sans-Papiers und Migrant_innen in Berlin (CISPM). Migrant_innen- und Sans-Papiers-Kollektive aus elf Ländern Europas und Nordafrikas nahmen daran teil. In einem Gespräch erklären zwei Teilnehmer, was die CISPM ist und wie sie sich seit ihrer Gründung 2012 entwickelt hat.

«Wir sind hier vor der spanischen Botschaft in Berlin, um unseren Freunden zu gedenken, die genau vor einem Jahr, am 6. Februar 2014, in Ceuta ermordet wurden, als sie versuchten, über die Grenze nach Europa zu gelangen. Schande diesem Europa, das Krieg gegen die Migrant_innen führt! Nieder mit den Mauern, Zäunen und Gesetzen, die Migrant_innen kriminalisieren in Spanien und in Europa. Wir, die Internationale Koalition der Sans-Papiers und Migrant_innen, sind angereist aus Frankreich, aus Spanien, aus Italien, aus Polen, aus der Schweiz, aus Deutschland, Marokko und Tunesien, um zu sagen: Genug ist genug! Stoppt den Krieg gegen Migrant_innen. Bewegungsfreiheit für alle und überall!»

Diese Worte richtete Papa Simel, Mitglied der Internationalen Koalition CISPM, der aus Spanien angereist war, an die spanische Botschaft in Berlin. Die Wut gegen dieses Europa, das nicht zögert zu töten, um seine Grenzen zu sichern, ist an der Demonstration vom 6. Februar 2015 zum Gedenken der Toten und Vermissten von Ceuta deutlich zu spüren. Manche Demonstrant_innen haben die Toten und Vermissten gekannt, haben mit ihnen zusammen über Monate in den Wäldern Marokkos nahe der Grenze gelebt. Sechzehn Särge mit Kerzen wurden vor der spanischen Botschaft aufgereiht: Fünfzehn für die Migrant_innen, die am 6. Februar 2014 der rassistischen Hetze der spanischen und marokkanischen Grenzpolizei zum Opfer fielen, als sie versuchten nach Europa zu gelangen. Und ein Sarg symbolisch für die über fünfzig Migrant_innen, die seit diesem Tag vermisst werden oder illegal nach Marokko abgeschoben wurden. Ein Mitglied der CISPM, das aus Italien angereist war, richtete sich an die spanische Botschaft: „Mit diesen Särgen hier appellieren wir an euer Gewissen: Spanien, Europa, ihr habt sie getötet! Dies ist ein Europa der Friedhöfe. Im Süden Italiens haben wir Friedhöfe mit Gräbern, die lediglich mit einer Nummer versehen sind. Wenn dieses Europa von Demokratie und Meinungsfreiheit spricht, dann muss es auch die Bewegungsfreiheit anerkennen!“

In einem Demonstrationszug wurden die Särge von der spanischen Botschaft aus durch das Zentrum Berlins bis zur marokkanischen Botschaft getragen. Vor dem Bundesrat hielt die Demonstration an und die Särge wurden vor dem Regierungsgebäude aufgereiht, um die Beteiligung Deutschlands an der Grenzpolitik zu denunzieren. Während der ganzen vierstündigen Demonstration wurde gerufen: „Honte, honte, honte à cette Europe, qui fait la guerre aux immigré_e_s!“

Diallo Koundenekoun, du bist aus Paris angereist und gehörst zu der CSP75, sozusagen dem Gründerkollektiv der CISPM. Wie kam es zur Gründung der internationalen Koalition?
Die CISPM wurde 2012 gegründet, im Rahmen des ersten europäischen Marschs der Sans-Papiers und Migrant_innen. Beim Marsch ging es darum, die Bewegungsfreiheit nicht nur zu fordern, sondern diese direkt zu praktizieren. Das haben wir getan, indem wir als Sans-Papiers neun Grenzen kollektiv überschritten haben. Die Idee eines europäischen Marschs kam uns während des Marschs Paris-Nice im Jahr 2010, als wir von Paris aus zu Fuss nach Nice gingen, um dort am Afrika-Frankreich-Gipfel an die Staatschefs unserer Heimatländer zu appellieren. Unsere Antwort auf die migrationspolitischen Probleme muss eine europäische und internationale sein. Deshalb haben wir uns an Migrant_innenkollektive in Italien, Deutschland, Belgien und später der Schweiz gewendet und mit ihnen den ersten europäischen Marsch der Sans-Papiers und Migrant_innen organisiert.

Welches sind die Hauptforderungen der CISPM?
Es geht immer ums Gleiche: Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, und zwar nicht nur für Europäer, sondern für alle und überall. Weshalb können Waren und Geld frei zirkulieren, Menschen aber nicht? Wir müssen die Grenzen für die Menschen aufbrechen. In diesem Rahmen verlangen wir auch die Schliessung aller Ausschaffungsgefängnisse und Lager, den Stopp der Ausschaffungen, die kollektive Regularisierung aller Sans-Papiers und gleiche Rechte für alle.

Papa Simel, du bist vom Kollektiv „Africa con voz propia“ aus Spanien angereist. Es ist das erste Mal, dass ein spanisches Kollektiv an einem Treffen der CISPM teilnimmt. Was sind deine Eindrücke?
Bereits seit zwei Jahren verfolge ich die Aktivitäten der CISPM und habe auch bereits Mitglieder in Spanien empfangen. Seit heute gehört Spanien nun offiziell dazu. Ich bin noch ganz gefühlsüberflutet, es ist grossartig, hier in Berlin zu sein, zu sehen wie die Menschen sich hier voller Engagement eingeben, während einer vierstündigen Demonstration der Kälte trotzen und trotz Müdigkeit in langen Sitzungen zusammen arbeiten – diese Menschen sind von überall her angereist, um zusammen gegen die Verbrechen und Ungerechtigkeiten anzukämpfen, denen wir sowohl an den Aussengrenzen, als auch innerhalb der Festung Europa ausgesetzt sind. Wir sind geeinigt in der Überzeugung, dass es ein europäisches Netzwerk braucht, um für den Respekt und die Rechte aller Menschen zu kämpfen.

Diallo, wie erlebst du dieses Treffen der CISPM im Vergleich zu früheren Treffen?
Ich bin sehr zufrieden mit diesem Treffen. Als wir begannen, uns zwischen drei, vier Ländern zu koordinieren, um den europäischen Marsch der Sans-Papiers zu organisieren, wurde uns gesagt wir seien Träumer, es sei unmöglich, als Sans-Papiers Grenzen kollektiv zu überschreiten. Wenn ich mich daran erinnere, wie wir während einer stündigen Tanzblockade auf der Grenze in Basel singend Kreise über deutschen und schweizerischen Boden gezogen haben, kann ich es immer noch kaum glauben. Und heute sind wir so viele Länder, zum ersten Mal sind auch Spanien und Marokko dabei, was mich sehr glücklich macht. Die Karawane, die wir organisieren, um von Paris aus nach Tunis ans Weltsozialforum zu gelangen, wird durch Spanien führen. Unser nächstes Treffen ist also schon sehr bald!

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