24. Februar 2014 Sadou Bah
«Es hat nicht zu heissen: alles was dem Volke nützt, ist Recht, vielmehr ungekehrt: Nur was Recht ist, nützt dem Volk» Gustav Radbruch
Die Inspiration zu diesem Thema kam mir infolge einer Debatte/Interview im französischen Fernsehen. Der Gast hatte ein Buch geschrieben, in welchem er «citoyen und citoyenne» (Bürger und Bürgerin) – eine_n für alle – ermahnt, seine beziehungsweise ihre kulturelle Identität zu bewahren. Demzufolge müssten Herr und Frau Bürger sich dafür einsetzen die Zuwanderung zu begrenzen. Sonst drohe nämlich die Identität der Franzosen und Französinnen mit jener der Eingewanderten zu verwässern. Nur eine drastische Reduzierung der Einwanderung vermöge die Kultur der «Grande Nation» zu bewahren.
Dies ist der Diskurs der schleichenden Entfremdung nationaler Identitäten, der von vielen europäischen Parteien der Rechten befeuert wird, sei es der schweizerischen Volkspartei, dem französischen Front National, der niederländischen Partij voor de Vrijheid, der griechischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung). Das Ziel ist die Rückkehr in den ethnisch definierten Nationalstaat, wie er erst seit dem 19. Jahrhundert proklamiert wurde – dieser Diskurs im Sinne einer von politischen Mächten konstruierten Rationalität geht uns alle etwas an.
Alle diese Gruppen, die heute eine kulturelle Identität behaupten wollen, vergessen, dass die Entwicklung der menschlichen Zivilisation nicht umkehrbar ist. Vorbei ist die Zeit, wo man im Namen einer Sache ungestraft andere Menschen «abschlachten» konnte. Einerseits haben die westlichen Länder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO in ihrer Allgemeingültigkeit, Gleichheit und Unteilbarkeit ratifiziert. Anderseits ist es inzwischen hier wieder gang und gäbe, dass politische Parteien auf Kosten der Menschenrechte der Flüchtlinge Politik machen.
Das Gleichgewicht der Menschenrechte
All die Politiker, die heute – unter dem Vorwand uns das Glück zu bescheren – die «Menschenrechte» und «Menschenwürde» der anderen in Frage stellen, werden auch nicht davor zurückschrecken, die Menschenrechte und Menschenwürde der eigenen Leute anzutasten, wenn sie einmal die Zügel der Politik in ihrer Hand halten sollten und eine machtpolitische Rationalität dies als ein «geringeres Übel» erscheinen liesse.
Das Glück des einen kann aber nicht auf dem Unglück des anderen gebaut sein.
Wir wissen, dass virale Krankheiten übertragbar sind. Glück und Unglück funktionieren nicht anders: Wenn wir das Unglück der anderen andauernd ignorieren, und sei es noch so weit entfernt, wird es uns mit der Zeit wie eine Epidemie einholen. Daher die Wichtigkeit eines gültigen Menschenrechts für alle. Das ist das einzige Mittel, durch das die Politik uns Sicherheit und Zuversicht gibt. Dazu gibt es keine Alternative!
Jene, die sich in der Vergangenheit mit Gewalt gegen die Menschen hervorgetan haben, wurden mehr oder weniger alle von der Geschichte verurteilt. Von der Sklaverei bis zum 2. Weltkrieg gibt es zahlreiche Beispiele. Diese Verurteilung wird auch in Zukunft diejenigen ereilen, die von der Gewalt gegen andere weiterhin Gebrauch machen.
Damit diese Gewalt aber aufhöre, muss das Recht auf Würde den gleichen Status bekommen wie das Recht auf Leben!
Global denken, lokal handeln – mit einem Recht
Die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, müssen global angegangen werden: Man kann einfach nicht erwarten, dass die Probleme der Migration durch die Mauer «Frontex» gelöst werden. Ohne dass die Lebensbedingungen der wandernden Gruppen an ihren Ursprungsorten verbessert werden, geht das nicht. Diese Verbesserungen könnten so aussehen, dass funktionierende und aufzubauende Demokratien darin unterstützt werden, nicht-gewalttätige Politik zu etablieren. Die Kehrseite besteht in der Unterstützung diktatorischer Regimes durch politische Mächte. Hauptmotiv ist hier meist der räuberische Abbau von Rohstoffen ohne Dividende (an die lokale Bevölkerung). Verschiedene Massenfluchten aus «dem Süden» stehen hiermit in direktem Zusammenhang. – Das ist die Verflechtung der Weltpolitik. – Und das soll man lokal lösen? Menschen, die in ihren angestammten Gebieten in Frieden leben können und das Recht der freien Meinungsäusserung haben, würden auf sich allein gestellt sicher nicht flüchten. Klimatisch bedingte Wanderungen sind hiervon ausgenommen.
Die allgemeine Verantwortung
Der siegreiche Kampf für die «Demokratie» führt dazu, dass eine allgemeine Sicherheit gewährleistet werden kann. Der technologische Fortschritt hat die Welt so klein gemacht, dass wir global denken müssen: eine Umwelt – eine Sicherheit!
Wenn dem so ist, dass die Gewalt in einem Teil der Welt den Frieden in einem anderen Teil der Welt berührt, und zwar auf diese Weise, dass die Opfer der Gewalt hier den Frieden und die Sicherheit dort suchen, dann ist es doch so, dass die Verantwortung allgemein, global wird. Wollen wir also den Frieden bei uns, müssen wir ihn auch woanders wollen. Diese Verantwortung trägt die Politik, aber auch die Zivilgesellschaft.
Die Welt muss darüber nachdenken, wie sie leben möchte. Wenn es Kriminalität gibt, sind wir es, die sie hervorgebracht haben. Leben wir in einem friedfertigen Klima, ist es auch unser Tun als Gesellschaft, dem wir das schulden. Der Ausschluss, die Verweigerung zuzuhören und in einen Dialog zu treten oder zu teilen, erzeugen Frustration, die auf ihre Weise die Parallelwelt des Verbrechens an der Gemeinschaft erschafft.
Die Fortsetzung des Weges der Menschlichkeit
Es ist wahr, dass die Wege der Menschlichkeit in der Vergangenheit durch mutige, gerechte Menschen wie Gandhi, Lincoln oder Mandela oder Organisationen wie Greenpeace markiert wurden. Die Probleme der Menschheit in ihrer Globalität zu lösen sowie der Umweltschutz sind die grossen Aufgaben, die nun vor uns als einem Kollektiv liegen. Mensch und Natur müssen wieder in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit gerückt werden. Und das gleiche Recht aller soll Gültigkeit erlangen – mit der Menschenwürde als Mass. Allein die Politik, die sich in diese Richtung aufmacht, verdient unsere Unterstützung
Übersetzung aus dem Französischen und Lektorat: Peter Schardt