8. Februar 2013 Munzur Sipan

Von einem Tag auf den anderen: Das Botschaftsverfahren

Wir Menschen – weil wir an etwas glauben, kämpfen wir!

Für manche ist es wichtig, dass man ihnen glaubt. Für andere ist es wichtig, dass sie bloss Macht haben und man tut, was sie sagen, egal ob man ihnen glaubt. Wer an eine Ideologie glaubt, versucht zu gewinnen und bis zum Ende zu kämpfen. Wer eine politische Überzeugung hat, will ein besseres Leben und sagt, was er/sie denkt. Wer gegen das System ist, kämpft mit humanitären Gedanken und benutzt die Humanität für mehr Freiheit. Wer die Macht hat, sollte andere Gedanken respektieren und Geduld haben zuzuhören.

Leider hat es in unserer Epoche noch nicht funktioniert. Mit allen Mitteln und auf unterschiedliche Weise hat man immer versucht, andere Gedanken zu unterdrücken. Das beste System wäre eigentlich die Demokratie, aber auch in der Demokratie wird kontrolliert, wer gegen das System aufsteht. Mit Fichen, Überwachungen u.s.w. versucht das System, die Leute im Griff zu haben. Der Mensch mag Macht und will Macht haben und denkt immer, seine Meinung ist die einzig richtige. Es braucht ein Vorgehen, das Macht verhindert und vernichtet.

Wenn man eine eigene Idee hat, sollte man sie anderen frei erzählen und sagen: «Schaut mal! Meine Idee ist nicht nur für mich, meine Idee ist für mich, für dich und für andere.» Wir können zusammen gut in Gleichheit leben. Die Mächtigen akzeptieren die Gleichheit aller aber nicht, weil sie sich dann bedroht fühlen. Wenn alle zusammen Gleichheit haben, bedeutet es, dass die Macht untergeht. Die Mächtigen sagen: «Wir haben das beste aller Systeme, die Demokratie, in der die Menschen frei sind. Wer nicht zufrieden ist, muss ein Anarchist oder Kommunist sein und falsche Ideen haben.» Mit der Demokratie verstecken sie die Ungerechtigkeit und halten es nicht für nötig, das Volk zu fragen, ob es zufrieden ist. Weil ihre Macht oder Autonomie nicht auf Gleichheit beruht, bekämpfen sie den Widerstand sofort, weil sie wissen, dass ihre Position in Gefahr ist. Dann kommen sie eines Tages und nehmen dich fest. Und du kannst nichts machen.

In der Türkei zum Beispiel tun sie so, als hättest du das Recht auf einen Anwalt um dich zu verteidigen, aber sie haben bereits einen Entscheid gefällt. Wenn du Glück hast, dann konntest du dich vorher verstecken. Was bedeutet, dass du nicht weiterkämpfen kannst. Du musst dich entscheiden und du musst schnell sein. Sonst erwartet dich Gefängnis und Folter oder vielleicht der Tod. Da ist die Flucht ins Ausland die bessere Idee. Das Land zu verlassen ist aber nicht so einfach, denn man muss Geld auftreiben, um die Schmuggler zu bezahlen oder man muss Beziehungen haben. Aber wo kannst du die so einfach finden, während dein Leben in Gefahr ist?

Dann hört man vom Botschaftsverfahren und man sieht eine Möglichkeit das Land zu verlassen und die Reise zu finanzieren, denn das Geld wird dir gegeben, wenn du keins hast, nachher musst du es zurückbezahlen. Die Kontakte mit der Botschaft herzustellen ist auch nicht die einfachste Sache. Du weisst nicht mit wem du sprichst, ob du vertrauen kannst. Du weisst nicht, ob der Geheimdienst dich beobachtet. Aber leider hat man nur diese eine Möglichkeit. Dann laden sie dich zu einem Interview ein und dann heisst es warten, bis sie einen Entscheid gefällt haben. Sie müssen alle Papiere haben von dir und das Dossier müssen sie in die Schweiz schicken zum Bundesamt für Migration (BFM), das dann entscheidet. Das geht manchmal sehr schnell, denn sie wissen, dass du in Gefahr bist.

Wenn alles in Ordnung ist, dann kannst du die Reise antreten und musst dich von deiner Familie verabschieden. Nachher wirst du für viele viele Jahre nicht mehr zurück gehen können. In der Schweiz bist du erst einmal in Sicherheit, aber ein normales Leben kannst du noch nicht beginnen. Du musst wie die anderen Asylsuchenden lange warten, bis du dann definitiv als anerkannter Flüchtling aufgenommen wirst. Das bedeutet in Asylzentren wohnen, nicht arbeiten können, keine Ausbildung machen.

Wenn man die Möglichkeit des Botschaftsverfahrens nicht mehr hätte, dann müssten andere Wege gefunden werden, gefährliche Wege. Man ist Schmugglern und Menschenhändlern ausgeliefert. Die Schweiz nimmt über das Botschaftsverfahren jährlich um die 800 verfolgte Menschen auf. Und nun finden sie, das seien zu viele! Wenn sie aber finden, das seien zu viele, dann wollen sie, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken oder im Lastwagen ersticken. Sie wollen auch, dass noch mehr Menschen in Gefängnissen gefoltert werden und von diktatorischen Systemen getötet werden.

Die Flüchtlinge, die über das Botschaftsverfahren in die Schweiz gekommen sind, sind nicht die Verlierer, denn sie haben ihre freien Gedanken und sie haben eine politische Überzeugung, an die sie glauben. Auch wenn ihr Leben in Gefahr ist haben sie keine Angst zu sterben. Aber sie möchten sich dem System nicht ausliefern und deshalb fliehen sie, wenn sie können und gehen ins Exil. Im Ausland erwartet sie ein neues System. Dieses neue System ist auch nicht perfekt oder das beste aller Systeme. Aber wer das Botschaftsverfahren abschafft, der verliert ganz sicher einmal mehr die Menschlichkeit und opfert die Humanität zugunsten des Systems.


Das Botschaftsverfahren

Das Botschaftsverfahren wurde im September 2012 im Parlament abgeschafft und ist Teil der elften Asylgesetzrevision der Schweiz. Gegen diese Verschärfungen wurde erfolgreich das Referendum ergriffen. Das Gesetz muss nun im Juni 2013 dem Stimmvolk vorgelegt werden. Dann wird sich zeigen, ob sich die Schweizer Bevölkerung endlich wehrt gegen die rassistische, unfaire und menschenfeindliche Asylpolitik!

Viele Jahre lang war es dank des Botschaftsverfahrens möglich, auf einer Schweizer Botschaft im Ausland Asyl zu beantragen. Das Verfahren ist das gleiche wie in der Schweiz, die Flucht ist aber viel sicherer und da die Asylsuchenden bereits wissen, dass sie Asyl bekommen, nicht vergebens. 2011 wurden auf Schweizer Vertretungen 6‘282 Asylgesuche gestellt, von denen 714 bewilligt wurden. Im Schnitt werden 2/3 der bewilligten Gesuche als Flüchtlinge anerkannt und bekommen Status B, 1/3 werden vorläufig aufgenommen und bekommen F.

Ohne das Botschaftsverfahren müssen die Flüchtlinge ihr Land illegal verlassen und illegal in ein anderes Land einreisen. Sie fallen Schleppern in die Hände, denen sie horrende Summen für die Flucht bezahlen, und sie riskieren dabei ihr Leben. 2012 sind gemäss offiziellen Statistiken über 2‘300 Menschen beim Versuch Europa zu erreichen umgekommen. Sie verdursten oder ertrinken im Mittelmeer, sie ersticken in Lastwagen oder Schiffscontainern, sie ertrinken beim Überqueren eines Grenzflusses, etc. Insbesondere für Frauen und Kinder war das Botschaftsverfahren die einzige Möglichkeit zu flüchten. Mit dem Botschaftsverfahren konnte Menschen das Leben gerettet werden, die aus politischen Gründen verfolgt wurden oder deren Leben im Krieg bedroht war.

Die Schweiz ist gerade dabei, eine humanitäre Errungenschaft abzuschaffen. Und dies, obwohl etliche europäische Länder  die Praxis des Botschaftsverfahrens lobten und darüber nachdachten, das Botschaftsverfahren nach Schweizer Vorbild einzuführen. Stattdessen wird Europa nun wohl die äusserst repressive Asylpolitik der Schweiz loben und sich daran ein Beispiel nehmen. Mit katastrophalen Folgen für die Flüchtlinge und für die Menschheit!

von Alexandra Müller

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