5. Juni 2017 Frauengruppe ASZ

«Wann gehst du wieder zurück?»

Hier sind Frauen* unter sich: der Frauen*raum der Autonomen Schule Zürich. (Foto: Milad Ahmadvand)

Was es bedeutet, als Migrantin in der Schweiz zu leben, ergründet ein Gespräch in der Frauengruppe. Am Gespräch nahmen Nafissa, Marie, Nina, Antoinette und Lisa teil. Die Fragen stellte Rosa.

Ihr lebt alle schon seit mehreren Jahren in der Schweiz. Wo fühlt ihr euch zuhause? Was heisst Zuhause für euch?

Nafissa: Das ist schwer zu entscheiden. Manchmal fühlst du dich hier sehr wohl, manchmal einsam. Vor allem am Anfang war es ohne Sprache und Kenntnisse der Kultur schwierig. Wenn ich es mit vor 16 Jahren vergleiche, fühle ich mich jetzt viel wohler als in den ersten Jahren.

Nina: Bei mir war es ganz anders. Ich wollte immer ausprobieren, wie es ist, im Ausland zu leben. Obwohl auch die Perspektivlosigkeit, die in meinem Land herrscht, eine Rolle spielte, habe ich das Leben im Ausland vor allem als Abenteuer gesehen und mich hier sofort sehr wohl gefühlt. Erst später kam die Frage, was ist eigentlich mein Zuhause, und das Gefühl der Nostalgie. Ich glaube, Zuhause ist an mehreren Orten gleichzeitig, aber ich kann mir nicht vorstellen, zurückzugehen.

Nafissa: Die Erfahrung ist abhängig von der Situation: Ich bin vor dem Krieg geflüchtet und suchte Sicherheit und Freiheit. Für dich war es ein Abenteuer, ich suchte einen Platz, um am Leben zu bleiben.

Marie: Ich glaube, es macht zumindest einen Unterschied, ob man sich die Frage überhaupt selber stellt: Wo ist mein Zuhause? Am Anfang, als ich studiert habe, war die Frage nach dem Zuhause für mich nicht wirklich wichtig. Das hat sich verändert. Jetzt bin ich seit mehr als sieben Jahren in Zürich und würde heute sehr klar sagen, dass ich hier zuhause bin. Die ASZ hat damit sehr viel zu tun: Ich weiss nicht, ob ich mich in Zürich zuhause fühlen könnte ohne die ASZ.

Nafissa: Für meine Kinder ist es schnell gegangen, sie haben sich hier eingelebt, sie wollen nicht zurück. Aber meine Wurzeln sind dort, ich bin dort aufgewachsen und habe dort studiert, das kann ich nicht vergessen.


Ich warte immer noch, bis die Sicherheit in mein Land zurückkehrt. Eines Tages gehe ich vielleicht zurück.


Nina: Die Sprache ist ein wichtiger Punkt. Manchmal war ich sehr sauer, dass ich nicht Ich bin in der deutschen Sprache. Ich hatte keinen Humor in dieser Sprache, konnte mich nicht wehren. Deshalb hatte ich zum Teil das Gefühl, hier nur Gast zu sein. Mit besseren Sprachkenntnissen ist es leichter geworden, meine Rechte im alltäglichen Leben wahrzunehmen. Ich bin hier und werde mich dafür nicht entschuldigen, ich bin Teil dieser Gesellschaft. Das Erlernen der Sprache hatte einen starken Einfluss darauf, mich hier zuhause zu fühlen.

Welche Herausforderungen und Schwierigkeiten begegnen vor allem Migrantinnen? Wie war es zu Beginn, wie ist es jetzt?

Marie: Am Anfang habe ich mich viel damit beschäftigt, dass ich zwar die gleiche Sprache spreche, aber eben ganz anders. An der Uni habe ich gemerkt, dass ich zu direkt und zu schnell spreche. Man erwartet es zudem noch weniger von einer Frau, so forsch aufzutreten. Ich musste erst lernen, dass man im Gespräch zurückhaltender ist und sich nicht anfasst. Dazu kam zur Zeit der Masseneinwanderungsinitiative ein offensiver Hass auf Deutsche, was ich immer wieder gespürt habe. Heute ist es anders, jetzt wird mir eher in Deutschland der Spiegel vorgehalten, wie schweizerisch ich geworden bin.

Antoinette: Für mich war es ganz schlimm. Ich kam ins Gefängnis, weil ich keine Papiere hatte. Ich habe das nicht verstanden, ich habe doch mit Diebstahl und Drogen nichts zu tun! Dazu kommt die Sprache. Ich habe gemerkt, ich muss diese Sprache lernen. Es gibt auch viele Schwierigkeiten wegen der Hautfarbe. Das ist unser Alltag. Im Bus sitzt oft niemand neben mir. Die Leute schauen mich an und gehen weiter oder stehen lieber, am Anfang tat mir das weh. Schliesslich sagte ich mir: Egal, wenn eine weisse Person sich neben mich setzt und wieder aufsteht, ist sie immer noch weiss und ich dunkel. Wenn sie das nicht versteht, ist sie dumm.


Ich bin ausserdem nicht nur dunkel, ich bin auch eine Frau. Leute schauen mich oft an und denken, ich bin eine Prostituierte.


Aber jetzt ist es mir egal, ich muss nicht immer böse sein oder weinen deswegen. Wir haben alles zurückgelassen für eine bessere Zukunft. Manchmal macht das sehr traurig. Aber wenn ich mit Leuten zusammen bin, die wie eine Familie für mich sind, fühle ich mich sehr zuhause.

Welche Vorurteile erlebt ihr in eurem Alltag?

Nina: Ich bin weiss und die Leute merken nichts, aber wenn ich spreche, hören sie meinen Akzent. Im Umgang mit den Behörden wurde ich manchmal mit Arroganz konfrontiert. Als ich geäussert habe, dass ich die Kommunikation dieser Art nicht akzeptieren werde, waren sie überrascht, dass ich mich in dieser Sprache wehren kann. Oder manchmal, wenn die Leute hören, woher ich komme, sind sie erstaunt, dass ich ja gar nicht so religiös bin. Sie wissen nicht, in welche Kategorie sie mich stecken könnten. Das häufigste Vorurteil ist, dass ich traditionell und religiös sein sollte.

Antoinette: Manchmal kommen wirklich dumme Fragen: Woher kommst du? Kommen Sie aus Afrika? Warst du dort in der Schule? Wie alt bist du? Es war so dumm, ich hatte gerade ein Buch in den Händen! All die Fragen! Sie sind sehr anstrengend.


Es gibt viele Themen für ein Gespräch, jede Person hat eine Geschichte, nicht nur ich. Aber immer bin ich die, die ausgefragt wird und Antwort geben muss, die anderen Personen nie.


Nafissa: Was mich sehr geärgert hat, war, einen Job zu finden. Mein Diplom wurde nicht anerkannt. Ich habe so viele Bewerbungen geschrieben, dann habe ich es gelassen. Mit vier Kindern konnte ich nicht nochmals studieren. Als eine Freundin sagte, ich könne bei Denner oder Migros an der Kasse arbeiten, habe ich erst gelacht, mich aber schliesslich dort beworben. Zuerst gab es nur negative Antworten, ich wusste nicht, ob ich überqualifiziert war. Dann schrieb ich, ich sei Hausfrau, und sofort bekam ich ein Praktikum im Verkauf. Das war sehr schwierig zu akzeptieren, aber ich habe mich daran gewöhnt.

Marie: Meine Erfahrung als Ausländerin ist sehr stark davon bestimmt, dass mir unterstellt wird, ich sei nur für eine bestimmte Arbeit hier. Konkret gemerkt habe ich das, als ich mein Studium abgeschlossen habe und nicht klar war, wie es weiter geht. Viele fragten mich: Und, gehst du jetzt zurück? Es gab überhaupt keine Vorstellung davon, dass ich einfach hier bleiben und zuhause sein könnte.

Nina: Bei mir denken alle, ich sei in die Schweiz gegangen, weil ich einen Mann gefunden habe.


Wenn Männer ins Ausland gehen, werden sie gefragt: Was für eine Stelle hast du gefunden? Frauen werden gefragt: Was für einen Mann hast du kennengelernt? Auf die Frage, wann ich zurückgehe, habe ich irgendwann geantwortet: Vielleicht bleibe ich einfach.


Antoinette: Wenn es für weisse Leute so ist – was denkt ihr, wie es dann für uns ist! Wann gehst du zurück? Seit wann bist du da? Ich habe in der Modebranche gearbeitet. Aber in der Schweiz habe ich meinen Beruf verloren. Wenn ich einen Beruf suche, denken die Leute immer an Reinigung. Ist doch komisch, warum soll ich nur WCs putzen? Ich bin eine intelligente Frau, ich kann auch etwas anderes machen!

Rosa: Das hat damit zu tun, was von Frauen mit Migrationshintergrund erwartet wird. Du hast vorher schon davon gesprochen, es geht um Sexarbeit, um Putzen,…

Marie: oder Pflege...

Nafissa: Pflegeassistentin wurde mir oft empfohlen, aber das wollte ich nicht.

Lisa: Ich bin im Gegensatz dazu sehr privilegiert, ich darf hier sein, habe einen Pass. Im akademischen Bereich gibt es weniger Vorurteile gegenüber Frauen. Dennoch wird von mir erwartet, nicht politisch zu sein.


Als hätte ich kein Recht, etwas zu sagen, weil ich Ausländerin bin. Die Leute verstehen nicht, warum ich mich für Schweizer Politik interessiere.


Nina: Ja, das ist interessant. In den Medien wird diskutiert, ob Migrant*innen das System genug verstehen, um abstimmen zu können. Ich arbeite an einer Kampagne für eine Abstimmung mit, bei der ich selbst nicht mal abstimmen darf! Dabei verstehe ich das System besser als viele Schweizer*innen.

Marie: Und wenn man sich dann engagiert, ist man auch ganz schnell wieder alleine. Ich erinnere mich z.B. an die Gespräche mit der Stadt während der Raumsuche. Bei allen Treffen mit teilweise bis zu neun Personen war ich die einzige Frau. Die politische Teilhabe müssen wir uns massiv erkämpfen, auch in linken Kreisen. Ich bin froh, dass wir in den letzten Jahren wieder eine so starke Frauengruppe an der ASZ aufgebaut haben.

Ihr habt mehrmals die Autonome Schule Zürich erwähnt. Macht es einen Unterschied, ob man sich dort als Mann oder als Frau bewegt?

Antoinette: Ich fühle mich an der Autonomen Schule wie ein Fisch im Wasser. Aber ich habe auch gemerkt, dass es im Café mehr Männer als Frauen gibt. Männer sind freier, sich zu bewegen. Sie können ohne Probleme im Café sitzen, aber muslimische Frauen haben Schwierigkeiten, dort zu sitzen.

Lisa: Dafür sind wir organisiert in der Frauengruppe! Aber ich glaube auch, dass es für eine Frau schwieriger ist, sich die Räume einzunehmen. Wenn man da ist und seine Struktur hat, dann fühlt man sich sicher. Aber Frauen haben zuerst weniger Kontakte und daher mehr Schwierigkeiten.

Nafissa: Ich hatte auch nicht so viele Kontakte. Dann habe ich gehört, dass es andere Frauen gibt und eine Frauengruppe. Jetzt fühle ich mich wohl. Ich habe auch schon von Frauen gehört, die erst gekommen sind, als sie andere Leute kannten.

Marie: Bei vielen Themen gibt es Unterschiede. Zum Beispiel wird man zur potentiellen Heiratskandidatin, wenn man einen Pass und geregelten Aufenthalt hat, das spürt man in den Gesprächen, in der Form der Annäherungsversuche. Und es ist nicht immer angenehm, als einzige Frau in den Raum zu kommen.


Räume verändern sich, wenn Frauen dort sind. Wir Frauen übernehmen eine grosse soziale Verantwortung an der ASZ.


Antoinette: Aber trotzdem ist der Raum der ASZ für mich wichtig. Allein durch Sitzen und Schauen lernt man viel. Aus jedem Land, jede*r hat mir etwas gegeben. Ich gewinne immer etwas: ein Danke, Trost oder eine Umarmung.

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