10. August 2016 Kaveh Karimi

Was ist vom neuen Iran zu halten?

Nach der Wahl des «Reformers» Rohani zum Staatspräsidenten und dem Nuklear-Deal wird der Iran international hofiert. Dabei wird übersehen, dass die Islamische Republik weiterhin ein repressives Regime ist. Die Hardliner haben es geschafft, während Jahrzehnten an der Macht zu bleiben.

Wie manche*r politisch interessierte Le­ser*in weiss, hat der Iran seit dem Ersten Weltkrieg stabilere Staatsgrenzen, wenn man ihn mit anderen Ländern des Mittleren Ostens vergleicht.1 Die politi­sche Macht in der neueren Geschichte des Irans verteilte sich auf drei verschie­dene Kräfte: die Herrschaft der Schah-Monarchie, die älteste und grösste Kraft; die Herrschaft des Klerus, die zweitgrösste und gegenwärtig dominante Kraft; und die dritte und neueste Kraft: die Herrschaft der Säkularen und Repu­blikaner*innen. Der langen Geschichte von Konflikten zwischen diesen Parteien - die immer wieder von wechselnden internationalen Mächten unterstützt wurden - ist es zu verdanken, dass der Iran ein Phänomen der besonderen Art geworden.

Wenn wir auf die Regimewechsel in der neueren Geschichte des Irans blicken, sehen wir, dass immerzu die Hardliner an der Spitze der Macht sassen und nie be­reit waren, diese mit den Reformern oder der Opposition zu teilen. Der Schaden jedweder Veränderung war bisher in den meisten Fällen grösser als der Fortschritt, einmal abgesehen von einigen kurzen Perioden zwischen den revolutionären Phasen.2

Nach der Grünen Bewegung

Die letzte Protestwelle gegen die Isolati­onspolitik des vormaligen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad - genannt die «Grüne Bewegung» - wurde vom obersten Religionsführer und Staatsoberhaupt Ali Khamenei 2010 unterdrückt, wobei diese Unterdrückung par­allel zum Durchbruch des Arabischen Frühlings im Mittleren Osten geschah. Während dieser Zeit wurden über hundert ehemalige Amtsträger*innen, Journa­list*innen und Aktivist*innen verurteilt. Die Unterdrückung war vergleichbar mit derjenigen, die die Islamische Republik nach der Machtübernahme im Jahr 1979 und während des achtjährigen Kriegs gegen das irakische Regimes Saddam Husseins walten liess: Tausende Akti­vist*innen wurden damals in Ruhollah Khomeinis Auftrag getötet - unter dem Vorwand, Opposition oder «Gottesläste­rer» zu bekämpfen.'

Die Unterdrückung der Grünen Bewe­gung durch Hardliner unter dem direkten Kommando des obersten Führers Ali Khamenei spielte eine entscheidende Rolle für dessen Machterhalt und für den Weiterbestand der Islamischen Re­publik. Sie zeigte sich einerseits restriktiv gegenüber jeglicher Opposition - inklu­sive Khameneis einstigen Konkurrenten - und konnte unter Khameneis Oberauf­sicht innerhalb des gegenwärtigen Machtzirkels jeglichen Wandel kontrol­lieren: Das Regime erschien jetzt in einem neuen und modernen Update. 2013 ge­wann der sogenannte «moderate» Hassan Rohani die Präsidentschaftswahlen. Im Schatten der Hoffnung auf einen Wandel sammelte das Regime in der Folge ver­zweifelte Oppositionelle, die glaubten, der Nukleardeal mit den USA und ande­ren Mächten würde dem Iran zu weiterem Wachstum verhelfen und blockierte Gel­der zurückbringen.

Nach dem Nukleardeal und der Aufhe­bung der Sanktionen wurde die iranische Regierung ermahnt, «moderat zu handeln, Vorsicht walten zu lassen und die Span­nung nicht durch irgendwelche hastigen Aktionen zu steigern». Das sagte Ban Ki Moon, Generalsekretär der Vereinten Na­tionen, nur ein paar Wochen nach der Aufhebung der Sanktionen, als die irani­sche Regierung als Warnung für Israel zwei Raketen mit einer Reichweite von 2000 Kilometern testete.

Hinrichtungen auf neuem Höchststand

Das Leben im Iran war so anders in der ersten Welle des reformerischen Wandels unter dem damaligen Präsidenten Khata­mi (1997-2005). Damals hatte es gewisse Bürgerrechte und Freiheit gegeben, vor allem für die Jugend auf öffentlichen Plätzen und für Veranstaltungen der Stu­dent*innenbewegung an den Universitä­ten - trotz der langjährigen internatio­nalen Sanktionen. Als stark spürbare Konsequenzen der Sanktionen sind seit­her die Armutsrate, Obdachlosigkeit und Kinderarbeit auf ein Höchstlevel gestie­gen.

2015 gab es beinahe 1000 Hinrichtungen, die höchste Zahl seit 1989. Die iranische Regierung steht offen dazu, dass sie mit Truppen in Syrien ist, und machte mit den letzten Raketentests klar, dass sie Israel weiterhin von der Weltkarte löschen will. Die Nuklearverhandlungen, die Raketentests und eine um täglich 300'000 Fässer gesteigerte Ölproduktion, die dieses Jahr zu einem Vierjahres-Hoch von 3,2 Millionen führte - geben der Isla­mischen Republik Iran noch mehr Mög­lichkeiten, Waffen zu lagern und keine Verantwortung für Massenhinrichtungen und gekappte Menschenrechte überneh­men zu müssen, besonders in sozial be­nachteiligten und abgelegenen Regionen.

Die iranische Vorwärtsdiplomatie sowie der Niedergang von Erdogans Türkei hinsichtlich des Tourismus sind keine gu­ten Nachrichten für Menschenrechtsakti­vist*innen. Die meisten internationalen Organisationen beschränken sich darauf, monatlich oder jährlich auf die schlech­te Menschenrechtssituation hinzuwei­sen. All dies macht die Oppositionellen und Aktivist*innen nur verzweifelter und isolierter. Es ist offensichtlich, dass das Leben in Europa für iranische Ge­flüchtete aus vielen Gründen schwierig wird, vor allem weil viele westliche Länder nur vorgeben, die Menschen­rechte zu verteidigen, in Tat und Wahr­heit aber den Geschäftsinteressen Prio­rität gegenüber dem Leben der Mehrheit der Menschen und deren Lebensqualität im Iran einräumen

Ein Regime ohne Legitimation

Sicher ist die Islamische Republik Iran als Theokratie ein einmaliges Phänomen bezüglich der Normalisierung ihrer Werte: Sie schaffte es, dass Andersden­kende den obersten Religionsführer, der in limitierter Konkurrenz steht, als offizielle Autorität uneingeschränkt ak­zeptieren - selbst bei kulturellen Pro­duktionen wie Theater, Film oder Musik. Auch wenn die Aktionen der Opposition gegen das iranische Regime nicht aus­reichen, gibt es nicht nur keinen logi­schen Grund und keine Legitimation für den Fortbestand der Islamischen Republik Iran, sondern es ist auch schockierend zu merken, dass der Iran der Hauptgrund dafür ist, dass der zer­störerische Krieg in Syrien, die Krise im Jemen und die anhaltende Instabili­tät im Irak und anderen Regionen im Mittleren Osten andauern

Kaveh Karimi war Studierendenak­tivist im iranischen Kurdistan und ist ehemaliger Leiter der Jungen Pioniere im irakischen Kurdistan. Er ist freier Journalist.
Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung: Redaktionskollektiv

1 Einer der Hauptgründe dafür ist die Neutralität der damaligen iranischen Regierung, als die Grossmächte die ehemaligen Gebiete des osmanischen Reichs unter sich aufteilten (vgl. Sykes-Picot-Plan).

2 Etwa während der Konstitutionellen Revolution zwischen 1905 und 1907.

3 Die erste Massentötung und Lynchkampagne der Islamischen Republik waren die berühmten Ereignisse des Sommers 1988, als fast 5000 politi­sche Gefangene in den Gefängnissen von Teheran getötet wurden — ohne jeglichen Prozess oder nach einem «Verfahren», das nur wenige Minuten dauerte.

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