2. Juli 2019 Mohamed Wa Baile

Was passiert, wenn Widerstand gegen Racial Profiling zur Normalität wird?

Eine Reflexion

Hast du Angst vorm Schwarzen Mann? Selbstverständlich! Schweizer Polizist*innen halten regelmässig Schwarze1 Menschen an. Oder, um es «objektiv» zu formulieren, sie kontrollieren Schwarze Menschen, weil sie diese verdächtigen, nicht hierher zu gehören, illegal zu handeln, oder die Absicht zu haben, illegal zu handeln. Bestimmte Orte vermeiden oder nicht, sich in Schale werfen oder unge-zwungen bekleidet sein, weg- oder hinschauen: Nichts ist eine Garantie gegen Racial Profiling.

Weisse Menschen in der Schweiz haben Schwarze schon lange um sich. Aber weisse Blicke gibt es überall, wo Schwarze sind, überall wo der Kolonialismus Weisssein «normal» gemacht hat. Dieser Blick bedeutet, dass Schwarzen Menschen kein Recht zugestanden wird, in der Schweiz zu leben. Bösartig primitiv ist es, wenn die weissen Blicke von Polizist*innen kommen. Schwarz zu sein bedeutet, angestarrt, angehalten, heftig zu Boden gerissen, abgeführt und kontrolliert zu werden.

Seit 2015 widersetze ich mich rassistischen Polizeikontrollen. Am 5. Februar im Hauptbahnhof Zürich fanden zwei Polizisten und eine Polizistin bei ihrer regulären Durchsuchung keinen roten Pass auf meinem Schwarzen Körper. Dafür stellten sie mir eine Rechnung, die ich nie bezahlen werde. Auch nicht mit Spendengeldern.

Whitefacing

Ich muss vor Gericht erscheinen. Ich befürchte, dass ich auf dem Weg angehalten werden könnte. Es könnte sein, dass ich dadurch den Termin verpasse. Wie kann die Angst vor dem Schwarzen Mann überwunden werden? Das müssen die Menschen, die sich fürchten, selber herausfinden. Bis dahin, heute, übertrete ich die rassistische Trennlinie: Von der zweiten Klasse steige ich in die erste. Ich werde Mensch und Bürger. Vom «Anderen», «Fremden» und «Problem» verwandle ich mich zur «Normalität». Ich werde weiss. Ja, ich werde zum weissen Mann.
 
Es ist eine Entlastung normal zu sein, privilegiert. Normalweise kenne ich mich als Schwarzer Mann nur über den Blick des Weissen, und was ich mit diesem Blick sehe, stimmt nicht mit mir überein. Weiss fühle ich nun genau das Gegenteil dessen, wie sich Schwarze Menschen in weissen Räumen fühlen. Ich gehe aus meiner Wohnung, ohne mir Gedanken zu machen. Ich kann nicht nur von Bern nach Zürich reisen, sondern mich in der ganzen Schweiz ungehindert und unkontrolliert bewegen. Die Polizei bedeutet nun Sicherheit. Denn, wer hat Angst vor dem weissen Mann?

Tatsächlich muss ich als Schwarzer nicht zuerst meine Haut anmalen, um zu merken, dass Weisssein mit Privilegien einhergeht. Diese Sicherheit fühle ich nicht. Schwarzsein besteht ja unter anderem aus der Erfahrung, dass Polizisten auf mich aufmerksam werden. Alltägliche weisse Blicke erinnern mich daran, wie es sich anfühlt, ein Problem zu sein. Indem ich mich weiss anmale, versuche ich eine öffentliche Aussage zu machen: Was bedeutet es, weiss zu sein in der Schweiz?
Ist Weiss tatsächlich die glückbringende Farbe in dieser Welt? Weisse Polizist*innen arbeiten in einem System von institutionalisiertem Rassismus, sie sind in ihrem Weisssein gefangen. Für die Entmenschlichten sollte das «weisse Schaf» der Schweiz das schwarze rauskicken. Sie sollen mich entmenschlichen und werden selbst entmenschlicht. Sie benutzen Stöcke und Würggriffe. Wenn sie Undokumentierte anhalten, werden sie zu Vollstrecker*innen eines Systems, in welchem die Strafe Gefängnis ist, Ausschaffung und manchmal der Tod. Rassistische Polizeigewalt gehört in der Schweiz zum Alltag.

Fight the power

Während ein Grossteil der Dominanzgesellschaft diese rassistische Praxis als normal empfindet, sind immer mehr betroffene Menschen nicht mehr bereit, sie widerstandslos zu akzeptieren. Ich erinnere mich, wie antirassistische Aktivist*innen sich um vier Polizist*innen stellten, in Solidarität mit einer Schwarzen Frau, die gewaltsam kontrolliert wurde. Es war in der Mittagspause des Gerichtsprozesses von Wilson A. Wie wir war sie dort aus Solidarität mit Wilson A. Auf dem Weg zu uns in einen nahegelegenen Park. Da sah sie, wie Polizist*innen eine Schwarze Person kontrollierten. Sie ging hin und machte Fotos mit ihrem Handy. Plötzlich sahen einige, wie ein Polizist sie gegen die Wand drückte. Wir taten genau das, wofür die Schwarze Frau angegriffen wurde: Wir kamen, machten Fotos und filmten. Es war extrem wichtig, dass wir bis zum Schluss neben ihr standen. Sie erzählte uns, dass sie gesehen hatte, wie der Polizist zitterte, als er Notizen machte. Solidarität macht uns bewusst, dass wir alle direkt oder indirekt von Racial Profiling betroffen sind und gemeinsam dagegen ankämpfen können.

Was geschieht, wenn Antirassismus unsere Handlungen prägt? Was geschieht, wenn eine zunehmende Anzahl Menschen of Color sich weigert ihre Ausweise der Polizei zu zeigen, wenn sie angehalten werden, weil sie nicht-weiss sind? Was passiert, wenn Widerstand gegen Racial Profiling zur Normalität wird?

Dieser Text ist eine überarbeitete persönliche Reflexion aus dem neuen Buch «Racial Profiling: Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand». Der Band versammelt wissenschaftliche, künstlerische und aktivistische Beiträge zu den gesellschaftlichen Hintergründen und Wirkungsweisen von Racial Profiling und den Möglichkeiten eines intersektionalen antirassistischen Widerstands.

1) Anmerkung: «Schwarz» wird hier immer grossgeschrieben, weil es sich dabei nicht um das Adjektiv bzw. die Farbe handelt, sondern um eine politische Selbstbezeichnung.


Racial Profiling: Struktureller Rassismus und anti-rassistischer Widerstand.
Herausgegeben von Mohamed Wa Baile / Serena O. Dankwa / Tarek Naguib / Patricia Purtschert / Sarah Schilliger. Transcript 2019, 336 Seiten.

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