25. Juni 2011 Netzwerk migreurop

Tötungsmaschinerie im Mittelmeer

Illustration: DIE ZEIT

Seit dem Ausbruch der arabischen Revolten sterben vermehrt Flüchtlinge im Mittelmeer. Dies ist eine Folge der repressiven Grenzkontrollpolitik der internationalen Gemeinschaft.

Seit Januar 2011 sind ca. 1000 Personen beim Versuch, die gefestigten Küsten im Süden der Europäischen Union (EU) zu erreichen, im Meer umgekommen. Hunderte von boat people wurden durch die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft getötet (vgl. Papierlose Zeitung 1/2010, S. 5). 

Sie zählen genauso wie weitere 15‘000 Tote zu den Opfern eines «Krieges gegen Migrant_innen», der zur Zeit den Gipfel der Unmenschlichkeit erreicht. So ist (nach übereinstimmenden Informationen) seit einigen Tagen ein Boot mit mehr als 600 Personen vor der libyschen Küste in Seenot geraten – dies in einer allgemeinen Gleichgültigkeit. 

Diese Gleichgültigkeit tötet. Die britische Tageszeitung The Guardian berichtet in ihrer Ausgabe vom 8. Mai 2011, dass Anfang April 2011 ca. 60 Migrant_innen verhungert und verdurstet sind, nachdem sie tagelang auf hoher See abgetrieben waren. Bedroht von den Patrouillen, die den Zugang zu den italienischen und maltesischen Küsten verhinderten, standen sie auch unter der Kontrolle der internationalen Koalition, die in Libyen stationiert ist. 

Nun muss eine unabhängige Ermittlung den Verantwortungsbereich all jener Akteure festlegen, die den in Not gelangten Schiffen und Menschen nicht zur Hilfe kamen und damit die elementarsten Gesetze des internationalen Seerechts verletzt haben. 
Dies ist symptomatisch für eine widersprüchliche Koalition, die eigentlich die «Verantwortung zu beschützen» garantieren sollte und stets von der internationalen Gemeinschaft verteidigt wird. Die gesamte europäische Migrationsund Grenzkontrollpolitik ist in Frage gestellt. 

Seit Beginn des Jahres 2000 spielen die Regierungen der nordafrikanischen Länder die Rolle der Grenzwächter Europas, indem sie Menschen, die das Recht auf Auswanderung geltend machen wollen (Art. 13. der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), verfolgen und einsperren. Die Übergabe der Kontrollfunktionen über die Migrationsströme an diktatorische Regime steht im Herzen der Nachbarschaftspolitik der EU. Angesichts der historischen Ereignisse, die die arabische Welt erlebt, besteht die Reaktion der europäischen Staaten darin, Druck auf die politischen Kräfte auszuüben, die aus den Aufständen entsprungen sind (provisorische Regierung Tunesiens, nationaler Übergangsrat Libyens), damit sie das repressive und freiheitsbedrohende Erbe der Partner-Diktaturen der EU vollständig übernehmen. 

Um zu verhindern, dass einige Tausend Menschen aufgrund der Schwächung der polizeilichen Apparate den Versuch starteten, nach Europa zu gelangen, hat die Agentur Frontex ihre militärischen Mittel (Schiffe, Flugzeuge, Helikopter...) rund um die Insel Lampedusa und vor den tunesischen und libyschen Küsten verstärkt. Ziel dieser «Operation Hermes» ist es, vor der Abreise in Richtung Norden abzuschrecken, unter Nichtbeachtung der Genfer Konventionen von 1951 und des Prinzips der Nicht-Zurückweisung von Asylsuchenden. 

Die Flüchtlinge aus Nordafrika, die in Europa nach Schutz suchen, sind heute in einer Tötungssmaschinerie gefangen. Auf der einen Seite drängt sie das Regime von Gaddafi auf regelrechte Schiffswracks, um das Land zu verlassen; auf der anderen Seite lehnen es die unter der Flagge der internationalen Koalition stehenden Schiffe ab, den sich in Gefahr befindenden Migrant_ innen zu helfen. 

Die europäischen Staaten und die Agentur Frontex dürfen nicht weiterhin unbestraft die internationalen Konventionen in Sachen Rettung im Meer und Schutz der Flüchtlinge verletzen. Eine solidarische Intervention der EU im Mittelmeer ist möglich und muss der unmenschlichen Haltung der europäischen Staaten gegenüber nordafrikanischer Flüchtlinge ein Ende bereiten. Solange diese Feindlichkeit nicht aufhört, wird die Koalition, die unter dem Namen der «Verantwortung zu beschützen» handelt, weiterhin töten und das internationale Recht, das sie eigentlich verkörpern sollte, missachten. 

Medienmitteilung des Netzwerkes Migreurop, erschienen am 11. Mai 2011. 

Weitere Informationen vom und zum Netzwek Migreurop: www.migreurop.org 
 

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