3. August 2016 Kaveh Karimi

Vom Smartphone zum Swimming Pool

Unter dem Vorwand, ein «gutes Zusammenleben» zu organisieren, werden Geflüchtete tagtäglich mit Vorschriften, Kontrollen auf öffentlichen Plätzen und roten Linien konfrontiert, die voller Hass und Fremdenfeindlichkeit sind: Sie sprechen ihnen die Vernunft per se ab und isolieren sie nur zusätzlich. Es gäbe auch andere Möglichkeiten.

«Wieviel kostet das?» ist fast überall in Westeuropa eine normale Frage, wenn du als Geflüchtete*r ein Smartphone besitzt. Natürlich: Nicht genügend zu Essen oder keinen sicheren Unterschlupf in den Län­dern des mittleren Ostens zu haben, ist keine gute Antwort auf diese Frage. Dabei ist das Smartphone auf der Reise mit Schmugglern nach Westeuropa wie ein Führer, der die Richtung und den Weg weist. Dieser Logik gemäss, und nur we­nige Monate bevor Hunderttausende von Asylsuchenden nach Europa kamen, be­gannen verschiedene Länder, ihnen ihr Geld, Gold und andere wertvolle Dinge wegzunehmen.

Ich denke, das ist das Hauptargument: Wie kannst du dir diese wertvollen Dinge leisten, aber nicht in deinem Heimatland bleiben? Als Asylsuchende*r hast du keine gute Antwort auf diese Frage. Du kannst ihnen nicht erklären, dass sie eine unlogi­sche Sicht auf die ankommenden Flücht­linge haben, obwohl sie jeden Tag die Nachrichten über Krieg aus dem Mittleren Osten hören und sehen... Währenddessen wurden im Schatten dieses Denkens und dieser Propaganda viele Vorschriften ge­gen die gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten aufgestellt.

Dazu gehört die Anwesenheit auf öffentli­chen Plätzen und Sportanlagen, in Party­räumen oder Badeanstalten.

Was ist mit den Ereignissen in Köln?

Auf der Makroebene ist die Propaganda nach «Köln» ein weiterer Faktor, um mehr Gesetze gegen Geflüchtete zu legitimieren, und um sie eher als Vergewaltiger zu be­trachten als alle anderen europäischen Bürger. Im Fall einer Vergewaltigung ist wahrscheinlich, dass Geflüchtete sofort die Hauptverdächtigen wären.

Ich habe kein Interesse daran, darüber zu sprechen, dass westliche Tourist*innen und Armeeangehörige während ihrer Mis­sionen auf der ganzen Welt Jugendliche vergewaltigen, noch will ich einen Ver­gleich zwischen diesen verschiedenen Fällen ziehen. Doch sie könnten die Grundlage für einige Gedanken sein, be­vor die Ereignisse in Köln weiter beurteilt werden. Ein mögliches Thema wäre auch - gestützt auf meine Erfahrungen als Ge­flüchteter seit 2010 -, dass die meisten Geflüchteten vor allem im Sinn haben, ihre ihnen zugestandenen Rechte zu be­wahren, so dass es kein vernünftiger Akt wäre, andere Menschen zu vergewalti­gen... Wenn wir davon ausgehen, dass hinter den Ereignissen in Köln nicht ras­sistische Provokateure steckten - was für mich nicht sicher ist -, sollten die psycho­logischen Beratungsstellen in den Asyl­zentren für diese gemäss Kölner Polizei wenigen Dutzend unter den Millionen Geflüchteten verantwortlich sein.

Statt von Integrationsprojekten, der Suche nach Talenten oder einer nützlicheren Immigrationsstrategie hören die meisten der Geflüchteten jeden Tag von «roten Linien» und Ermahnungen, sich vorsich­tig zu verhalten, wenn sie die Camps verlassen. Sätze wie «Trink nicht zu viel», «Fass keine Frauen an», «Sei vorsichtig an Partys» und «Sitz in Zug und Bus nicht neben Frauen» sind voller Hass und Frem­denfeindlichkeit. Solche Hinweise atta­ckieren Geflüchtete. Ich denke nicht, dass sie mit guten Hintergedanken geäussert werden.

Die männlichen Geflüchteten von den Frauen zu separieren und sie daran zu er­innern, dass sie nicht aus fortschrittlichen Ländern stammen, ist kein angebrachtes Verhalten, selbst wenn einige von ihnen später einen negativen Entscheid vom Migrationsamt erhalten. Wenn man Ge­flüchtete ausschliesst und den Kontakt mit ihnen so gestaltet, als wären sie Ge­fangene, fördert man gerade dadurch eine mehr und mehr konservative Hal­tung bei ihnen, weil sie nicht aktiv ihre Rechte einfordern können.

Ich denke, es sollten mehr Integrations­projekte organisiert und die Asylzentren mit den lokalen Gemeinden verbunden werden. Vor allem Studienplätze (wie etwa im neu lancierten Projekt Offener Hörsaal in Basel) wären ein besserer Weg, um eine gute Zukunft mit multikultureller Integration und Verantwortung in den Köpfen der Geflüchteten zu gestalten. Weder Isolation, noch Hass.

Kaveh Karimi ist freier Journalist. Übersetzung aus dem Englischen von Sharon Saameli


Benimmflyer des Kantons Luzern

Nach den Ereignissen in Köln hat der Kanton Luzern im Hinblick auf die Fas­nachtszeit im Januar 2016 einen Be­nimm-Flyer für Geflüchtete lanciert und in den Asylzentren verteilt. Die Broschüre enthält Verhaltensregeln für ein Zusam­menleben in der Schweiz. Jede Regel ist mit einem Piktogramm versehen. Es gab zahlreiche Reaktionen auf den Flyer. Bis auf einige wenige positive Stimmen sind viele der Meinung, dass er pauschalisie­rend ist.

Von Seiten der Autonomen Schule Zürich empfinden wir ihn als äusserst respektlos und bevormundend. Der Flyer suggeriert, dass die Verantwortlichen denken, Ge­flüchtete wüssten überhaupt nicht, wie ein Zusammenleben funktioniert oder wie man sich respektvoll benimmt.

Die Broschüre soll allerdings auch zu­künftig in den Asylzentren eingesetzt werden. Sie ist auf der Webseite des Kan­tons Luzern abrufbar. 

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