16. August 2023 Roble Mussa
Der Künstler Roble Mussa hat einen Dokumentarfilm über sein Leben in der Notunterkunft in Rohr/Glattbrugg gedreht.
Stell dir vor, du gehst nach draussen mit Angst, kommst mit Angst nach Hause, und wenn du zu Hause bist, ist Angst dein ständiger Begleiter. Stell dir vor, dieses Gefühl die ganze Zeit zu haben, ohne kriminell zu sein. Wobei das einzige Verbrechen die Angst ist, zurück ins Heimatland gehen zu müssen.
Ich habe gemerkt, dass viele Leute in der Schweiz schon einmal von diesem Thema gehört haben. Sie wissen ein bisschen über die Situation Bescheid und können sich ungefähr vorstellen, was das bedeutet. Aber viele wissen nicht, wieso jemand diesen Status bekommt, was die Geschichte dahinter ist und was das für diese Menschen bedeutet.
Ich habe das Thema gewählt, weil ich Teil dieser unsichtbaren Menschen bin. Meine Frage ist also: «Was bedeutet es, ein Leben als Sans-Papiers oder abgewiesener Asylsuchender führen, und was sind die Geschichten dahinter?»
Ich und ein paar Freunde von mir sind Teil von 90'000 bis 250'000 Sans-Papiers, die in der Schweiz leben und arbeiten. Für meine Abschlussarbeit treffe ich diese Menschen, höre ihnen zu und filme sie dabei. Sie erzählen ihre Geschichte, ihr Leben hier, ihre Reise, ihre Wünsche und ihre Träume.
Wir reden jeden Tag über unsere Situation als Sans-Papiers im Rückkehrzentrum, weil es das Leben ist, das wir leben, die Mühsal, die wir jeden Tag durchmachen. Manchmal bringt es uns zum Lachen, manchmal macht es uns traurig. Oft bedrückt es uns und gibt uns ein ohnmächtiges Gefühl der Leere; eine Schicksalsgemeinschaft ohne Hoffnung und Zukunft, eine Gruppe von Menschen ohne wirklichen Sinn und Zweck im Leben. Es ist für mich wichtig und ich finde es interessant, Aussenstehenden diese teils kurzen Augenblicke und Momente zu zeigen, sie auf dem Bildschirm festzuhalten, um ihnen so unseren täglichen Kampf so gut wie möglich näherbringen zu können. In unserer Unterkunft dürfen keine Videos aufgenommen werden. Ich kenne den Grund nicht, befürchte jedoch, dass die Behörden es nicht erlauben, zu zeigen, wie das Leben im Zentrum tatsächlich für die Menschen dort ist.
Oder ich irre mich, und es könnte für die Sicherheit der Migrant:innen sein, die in diesen Zentren «überleben». Ich erzählte einigen meiner Freunde im Zentrum, während wir zu Abend assen, dass ich hier einen Dokumentarfilm über uns machen werde. Sie sagten mir, ich solle vorsichtig sein, wie und was ich mache. Ich könnte in eine für mich schwierige Situation geraten. Sie meinten, die Behörden wollten lieber nicht zeigen, wie wir leben und wie es hier so läuft. Ich habe neulich deshalb im Büro in unserem Zentrum gefragt, ob ich hier ein paar Videos für mein Projekt machen könne. Sie haben nein gesagt. Es ergab für mich keinen Sinn. Ich habe mir mehrmals selbst die Frage gestellt: «Warum darf ich meine, unsere Geschichte nicht erzählen?» – «Warum kann ich nicht zeigen, wo und wie wir leben?» Trotz allem, ich will und muss es riskieren. Normalerweise respektiere ich Regeln, befolge Vorschriften, aber ich respektiere keine Regeln, wenn sie gegen meine Redefreiheit verstossen. Ich bin kein Journalist oder Reporter, ich habe keine politischen Absichten. Ich bin ein Mensch, der durch seine Situation, in eine Position gekommen ist, die das System als illegal bezeichnet. Ich habe vielleicht nicht das Recht, in genau diesem Land zu leben, aber ich habe das Recht zu leben. Und im Leben erleben wir alle unterschiedliche Dinge, Schicksale, Momente, welche schlussendlich unsere eigenen Geschichten ausmachen.
→ Link zum Film «Nasab» auf Youtube